Die Anwohner:innen der Gethsemanekirche positionieren sich. Mit friedlichen Demonstrationen setzen sie ein Zeichen der Demokratie an diesem symbolträchtigen Ort der friedlichen Revolution. Gegen Spaltung und Gewalt.
Ein Zeichen setzen. Dass dieser Ort, so bedeutungsstrahlend, nicht einer Demokratie-Feindlichkeit oder gar Gewalt gehört. Die Gethsemanekirche ist ein einzigartiger Ort des Friedens, der Toleranz, des starken Einsatzes für zu Unrecht Inhaftierte und politisch Verfolgte auf der ganzen Welt. Die Gethsemanekirche ist auch vor allem das Symbol des politischen Widerstands und der friedlichen Revolution in der DDR. „Damals haben mutige Menschen unter hohen persönlichen Risiken die Freiheit und die Demokratie erkämpft, in der wir heute leben.“, so beschreibt es die junge „Initiative Gethsemane-Kiez“. Diese Bedeutung zu bewahren, ist Anliegen der engagierten Anwohner:innen und Gemeindemitglieder. Um ein „starkes und friedliches Zeichen für Gemeinsinn und die demokratischen Werte“ zu setzen, gingen sie am Montag, dem 20. Dezember des Vorjahres, erstmals auf die Straße. Versammelten sich vor ihrer Kirche, suchten und praktizierten das friedliche Miteinander.
WACHET UND BETET
Warum ist das notwendig, ausgerechnet jetzt? Weil in der Pandemie-Krise einerseits die Positionen verhärten, weil andererseits Grenzen übertreten werden. Eine Woche vor der friedlichen Versammlung war eine Demonstration von Kritiker:innen der Corona-Maßnahmen eskaliert. Einige hundert Menschen versammelten sich vor der Kirche, zeitgleich zur dort stattfindenden politischen Andacht.
Während auf dem Kirchengelände Menschen unter dem Motto „Wachet und betet“ der Geflüchteten und politisch Verfolgten gedachten, demonstrierten vor der Kirche Menschen gegen Impfungen und 2-G-Regeln. Lieder und Lärm klangen über den Kirchenzaun, Kerzen wurden davor aufgestellt. Vor das Hauptportal der Kirche wurde gepinkelt. Die Protestierenden proklamierten die „Revolution reloaded“, zogen durch den Kiez. Dann kam es zu Übergriffen: Anwohner:innen wurden beschimpft, vor ihnen ausgespuckt, Mitarbeitende eines Cafes bedroht. Schließlich löste die Polizei die Versammlung auf.
„Wachet und betet“. Täglich finden unter diesem Motto Andachten für zu Unrecht Inhaftierte und politisch Verfolgte statt. Andachten und Motto haben eine lange Tradition. In Gethsemane hielten im Herbst 1989 junge Bürgerrechtler:innen Mahnwachen für politisch Inhaftierte, hier versammelten sich immer mehr Menschen, die einen anderen sozialistischen Staat wollten. Kerzen vor der Kirche wurden zum Symbol einer friedlichen Revolution. Und der Montag als Tag der Demonstrationen im ganzen Land zum Symbol des aufrechten Ganges.
Am Montag, dem 13. Dezember 2021, wurde aus einer Demonstration gegen Corona-Politik eine Grenzüberschreitung. Gethsemane-Pfarrerin Aljona Hofmann: „Dagegen und gegen die Vereinnahmung unserer Kirche wollen wir etwas unternehmen.“ Einige Tage zuvor hatte ein Mann bereits eine Andacht in der Kirche gestört und war übergriffig geworden.
FÜR GEMEINSINN
Einen Tag nach dem 13. Dezember traf sich eine Gruppe von Anwohner:innen und organisierte den ersten Gegenprotest, in Absprache mit der Kirchengemeinde. Rund 300 Menschen folgten am 20. Dezember ihrem eilig verbreiteten Aufruf für „Gemeinsinn und demokratische Werte“. Die Stimmung an diesem Abend: Friedlich, miteinander. Die Menschen sangen die alte Bürgerrechtshymne „We shall overcome“. Sie kamen ins Gespräch. Sie besetzten ruhig und dialogbereit den Raum um die Kirche. Aggressive Protestler:innen konnten ihn sich diesmal nicht erobern. Unter den Teilnehmenden der Gethsemane-Initiative: Auch Menschen, die vor 32 Jahren an dieser Kirche bereits friedlich demonstriert hatten. „Für die eigentliche Bedeutung des Ortes“, so einer von ihnen, sei er gekommen. „Verkehrte Welt“ sei es, wenn Querdenker den Raum für sich vereinnahmen wollen, so ein anderer. Zu zeigen, dass es auch „noch andere gibt, die Worte wie Faschismus und Diktatur nicht leichtfertig im Munde führen“, begründet eine weitere Teilnehmerin ihr Mitwirken. Die hundertfache Courage für die Gethsemanekirche erhielt breite mediale Beachtung; auch Bezirkspolitiker:innen begrüßten das Engagement.
WEITERE AKTIONEN
Aufstehen, zusammenhalten, ein Zeichen setzen. Die „Initiative Gethsemane-Kiez“ will weitere friedliche Aktionen gegen die Vereinnahmung dieses historischen Ortes und der Symbole der friedlichen Revolution in der DDR durchführen, sich montags weiter vor der Kirche versammeln. Das Recht auf freie Meinungsäußerung, so stellt die Initiative klar, gelte auch für Kritik an der Corona-Politik. Doch jede Form von verbaler oder körperlicher Gewalt, Einschüchterung oder Sachbeschädigung sei abzulehnen, ebenso Verschwörungstheorien und Wissenschaftsleugnung. Und erst recht die Verharmlosung von Diktaturen. „Wir wollen den Zusammenhalt der Menschen in unserem Kiez stärken, uns umeinander sorgen und aufeinander achten.“
-al-, Jan. 2022