Studien bescheinigten dem Prenzlauer Berg unlängst, eine der unzufriedensten Gegenden Deutschlands zu sein. CSU-Mann Dobrindt erklärte kurz darauf, Deutschland sei nicht Prenzlauer Berg und nicht cool. Tatsächlich scheinen wir unermüdlich dem Lebensglück nachzulaufen. Und was ist mit dem kleinen Glück?
Zumindest die Etikette stimmt: „kauf dich glücklich“ verheißen Café- und Shop-Namen. „Fräulein Glücklich“ verschiebt das Positive Richtung Gender-Debatte. Es wimmelt von „Oasen“ oder „Paradiesen“, von „schönen Dingen“ und „Wunder-Baren“. Das Leben, so verheißen diese Labels zwischen Hufelandstraße und Kopenhagener, zwischen Teutoburger Platz und Bornholmer, kommt auf leichten Füßen daher in Prenzlauer Berg.
Eine Studie und selbst bedeutende deutsche Medien verkündeten indes etwas anderes: Grundsätzlich sind die Deutschen eher unzufrieden – im europäischen Vergleich; der Osten stärker als der Westen und eine der nörgeligsten Gegenden sei Berlin und darin Prenzlauer Berg. Einem Freund, diese Studien vorgelesen, kalauerte sogleich: Das sei kein Wunder. Gleiche Studie besage nämlich auch, dass die Menschen in Baden-Württemberg auch unzufrieden sind. Und wer lebe in Prenzlauer Berg? Eben, die Schwaben! Aus Schleswig-Holstein indes, dem glücklichsten Bundesland, kenne er keinen einzigen in Prenzlauer Berg.
Müde und busy zugleich
Dieser Text ist eine, zugegebenermaßen, oberflächliche und nicht repräsentative Betrachtung des Glücks-Pegels in Prenzlauer Berg. Sie beginnt an einem ganz normalen Morgen. Rush Hour auf den Straßen und in den Trams und S-Bahnen. Der Himmel draußen grau, die Mäntel drinnen grau. Die Gesichter sind es auch. Einheits-Farbe und -Gemüt, nicht nur im Winter. „Kleidung, als Ausdruck einer Persönlichkeit, Individualität, spielt in Prenzlauer Berg eher eine untergeordnete Rolle“, sagte unlängst ein Berliner Mode-Designer. Sein Blick auf die Straße zeige: In Prenzlauer Berg herrsche schicke, pragmatische Uniformität. Die Rush-Hour-Menschen sehen nicht nur trübe aus an diesem trüben Wintertag, ihr Blick ist leer. Müde, noch bevor der Tag beginnt. Müde, und dennoch alle irgendwie schon busy, befasst mit dem, was gleich im Büro dringend zu erledigen ist.
Noch in den Nuller-Jahren sei der Prenzlauer Berg eine Gated Community der Zufriedenheit gewesen, schrieb eine ZEIT-Autorin vor wenigen Monaten. Die hier Lebenden stereotyp erfasst: Cooler Beruf, coole Wohnung, coole Kinder, die Gesinnung grün. Das Leben fest im Griff in dieser Wohlfühl-Oase. Und jetzt? Die großen Lebensfragen werden ernüchtert betrachtet, das Selbstwertgefühl ist im Sinken, der Stadtteil in der Midlife-Crisis. Die Zahl der Trennungen und Scheidungen nehme zu. Ist das ein Grund für die Unzufriedenheit? Die Generation Prenzlauer Berg steht in der Lebensmitte und vor der großen Frage: Reicht mir das? Will ich so weitermachen wie bisher?
Freizeit mit Pflichten
Samstag, früher Nachmittag, Kollwitzplatz. Am Wein-Stand auf dem Öko-Markt ist kein Tisch mehr frei. Den Verkäufern gehen die Gläser aus. Es gibt feine deutsche Weine – weiß, rot, rose. Erwärmt, mit Ingwersirup, oder kühl – in edlen langstieligen Gläsern. Hier trifft sich die Generation Mitte, redet über die Große Koalition und den kleinen Alltag, die Kinder. Glücklich wirkt auch hier keiner, das Lachen klingt angespannt, löst sich erst nach mehreren Glas Wein. Als wäre auch dieser Nachmittags-Termin am Wochenende eine zu erfüllende Pflicht.
In Wahrheit sei der Prenzlauer Berg nicht linksliberal, wie CSU-Mann Dobrindt jüngst maulte; in Wahrheit sei der Prenzlauer Berg zutiefst konservativ, schrieben große deutsche Tageszeitungen und zitierten die alten Klischees unter dem Blickwinkel eines neuen Konservatismus. Nie sei die Zahl der Kirchen-Mitglieder höher gewesen als jetzt. In Eltern-Zeit teilten sich zwar Männer und Frauen gleichzeitig, doch eigentlich doch mehr die Frauen. Mit Primeln an den Baumscheiben machten sich die Prenzlauer Berger die Großstadt-Straßen so gemütlich wie den Vorgarten eines Reihenhauses in einer Kleinstadt. Und ja, weltoffen und tolerant sind sie auch, mit großen Engagement für Geflüchtete. Doch jetzt, allmählich, schiebe sich vor die Toleranz eher eine Unzufriedenheit, eine Besorgnis. Dass durch die fremden Mitschüler das eigene Kind in seiner Leistung ausgebremst werden könnte.
Engagement als Pflicht
Die Grün-Scheiben um die Bäume, die Lust auf das Urban Gardening – sind das nicht Zeichen von kleinem Glück, gewissermaßen Glücksmomente? Engagement für Umwelt und Soziales sei einer der höchsten Glücks-Faktoren der Deutschen, sagen Sozialforscher. In Prenzlauer Berg erscheint auch das gute Engagement schon oft als Zwang. Immer gilt es mitzumachen, beim Subbotnik auf dem Spielplatz wie beim Flohmarkt für den guten Zweck. Macht Engagement, gequetscht in einem übervollen Alltag, noch unzufriedener?
Die Wahrheit hat wohl Hunderte, Tausende verschiedene Antworten. Ein Stadtteil und seine Menschen befindet sich zwischen den Chancen und den Zwängen eines liberalen, gutbürgerlichen Lebens: Die Karriere, die Kinder, die Selbstverwirklichung – alles erstrebenswert, alles muss erstrebt werden. Das Individuelle, Schräge, Andere – es findet nicht im eigenen Alltag, es findet an den Orten und Plätzen für Touristen statt.
Vielleicht es auch nur der Blick, die Offenheit, mit dem Zufriedenheit erreichbar ist. Ein Spätverkauf im Wins-Kiez. Hier ist das Leben möglicherweise tatsächlich anstrengend, aber es sieht nicht so aus. Der Späti hat eigentlich immer geöffnet, auch den Weihnachtsfeiertagen, bis spät in die Nacht. Hier, zwischen mit Getränken und Chips vollgestellten Regalen, in einem kühlen Raum, prallen Stress, Müdigkeit und Pflichterfüllen auf dauerhafte Gelassenheit. Der Inhaber hat immer ein Lächeln, immer einen Scherz, immer einen freundlichen Abschiedsgruß für seine Kunden. Und manchmal springt dieses Lächeln auf die Kunden über.
-al-, Feb 2018