Da fielen sie, die Bäume in Prenzlauer Berg. Reihenweise. An der Kastanienallee, an der Belforter Straße, an der Ostseestraße, auf dem Falkplatz. Das Grün muss für Bauvorhaben weichen, vor
allem im Winter. Hochsaison fürs Baumsterben.
Stadtbäume sind Natur pur, machen Straßen und Plätze für die Menschen lebens- und liebenswerter. Viele Menschen in Prenzlauer Berg danken es mit Fürsorge. „Ich wünschte mir, dass die Leute etwas
sensibilisiert wären für das Grün in der Stadt und es nicht einfach wegfällen“. Teresita C. lebt auf der Kastanienallee und erlebte im Februar mit, wie auf dem Grundstück Nr. 97-99 die großen
Bäume gefällt wurden. „Das macht mich traurig“, sagt die junge Frau, die die Polizei rief, weil die Bagger sich gar zu überraschend ans Werk machten. Mit Teresita C. sorgten sich auch andere
Anwohner um die Bäume. Für einige Tage machten sie ihren Protest mit Transparenten und Kunstaktionen öffentlich. Vergeblich. Die Bäume fielen, mussten für das lange geplante Bauvorhaben auf dem
einstigen Parkplatz weichen. Ab dem Frühjahr entsteht hier die sogenannte Blockrandbebauung, mit Einzelhandelsflächen, Büros und Wohnungen und einem Durchgang zur Schönhauser Allee. Kein Ort mehr
für die Bäume. Ob auf dem geplanten Innenhof des Komplexes neue gepflanzt werden?
Laut Berliner Baumschutzverordnung muss jeder solcherart vernichtete Baum ersetzt werden, je nach Alter und Größe mit bis zu fünf jungen Bäumchen pro gefälltem Exemplar. Bleibt vor Ort nicht
genügend Fläche, dann andernorts. Viele fällende Grundstückseigentümer wählen hingegen die zweite Möglichkeit: Sie zahlen fürs Baumsterben. Die Ausgleichszahlungen gehen ans Bezirksamt. Das
pflanzt und pflegt dann neu, etwa 1200 Euro kostet ein neues Bäumchen.
Platz für Neubau und Tiefgarage mussten auch die Bäume auf der Belforter/Ecke Straßburger Straße machen. Die Grünflächen zwischen den Wohnblocks aus den 60er Jahren, geziert von rund 40 schönen
alten Bäumen, liegen jetzt öde und leer. Da, wo sich Robinien und Ahorn zu idyllischen Bauminseln vereinten, ragen nur noch ein paar Stümpfe aus der Brache. Auch hier protestierten die Anwohner.
Ihre Sorge um die Bäume vereinte sich mit der Sorge um den eigenen Wohnort, denn auch ein Teil-Abriss der Häuser steht an. Der Investor will die Häuserzeilen mit einem Neubau verriegeln, Teile
der Altbauten werden dafür abgerissen. Im Mai nächsten Jahres soll Baubeginn sein. Jetzt stürzten schonmal die Bäume.
Es war gerade die Zeit. Wer beschneiden, fällen oder roden will, der kann das nur in den Wintermonaten. Die Baumschutzverordnung erlaubt Fällungen in der Zeit von Oktober bis Ende Februar – wenn
keine Vegetationsphase ist und keine Vögel in den Bäumen nisten. Kettensägen und Bagger rücken den Bäumen dann geballt an den Stamm.
Der zuständige Bezirksstadtrat Jens-Holger Kirchner teilt die Sorge der Bürger um ihre Bäume durchaus. Denn nicht nur auf Privatgelände infolge von Baumaßnahmen, auch an öffentlichen Straßen und
Wegen mussten sie wieder fallen: Vier Riesen auf dem Falkplatz, 13 an der Ostseestraße, 15 im Thälmannpark. Sie wurden nicht gefällt, damit an ihrer Stelle gebaut werden kann. Sie waren krank,
morsch, umsturzgefährdet.
Keine Einzelfälle. Jens-Holger-Kirchner blickt in das Pankower Baumkastaster: Die meisten der dort verzeichneten rund 44.000 Straßenbäume schwächeln. „Der Zustand der Bäume, auf einer Skala von
eins bis zehn, liegt im Durchschnitt bei vier. Das ist ganz schlecht“, sagt der Grüne Politiker den „Prenzlberger Ansichten“. Die Bäume sind zu alt, zu stark belastet durch parkende Autos und
Abgase, Klimawandel und Co. Tiefbauarbeiten machen ihren Wurzeln zu schaffen, erschüttern ihre Standfestigkeit. Die in Prenzlauer Berg weit verbreitete Traubenkirsche leidet an Wurzelfäule, auch
den Pappeln gehts nicht gut. Gesunde Bäume müssen immer wieder beschnitten werden, damit sie nicht in die Oberleitungen wachsen. Kirchner: „Drei Viertel unseres gesamten Etats für Grünflächen
gehen drauf für die Baumpflege“.
Da bleibt kaum Geld für dringend nötige Neupflanzungen. Ein Grund, warum seit einigen Jahren die Bürger zu Baumpatenschaften gebeten werden. Wer spendet, bekommt einen Baum gesetzt. Ein
Verfahren, mit dem sich ganz Berlin begrünen will. Denn 10.000 Bäume fehlen stadtweit, mindestens 500 davon in Pankow.
Das Baumsterben, es wird auch die Pappelallee ereilen. Wenn in den nächsten Wochen die Umbaumaßnahmen starten, müssen irgendwann auch Bäume weichen. Weil sie im Weg sind, weil sie krank sind.
Dagegen protestierten Anwohner schon im Vorfeld und rangen dem Bezirk ein gemeinsames Vorgehen ab: Ein Baumgutachten für jeden Baum wurde erstellt, mittels Umfrage bestimmten die Bewohner die
Arten der neuen Bäume.
So werden es am Ende sogar mehr Bäume als derzeit. Etwa 140 Bäume sollen die Pappelallee dann links und rechts säumen. Die Fürsorge der Bürger für ihre Bäume reicht weit in die Zukunft: Sie
wollen Sitzbänke um die Stämme errichten, die Baumscheiben mit weiterem Grün bepflanzen, Schutzgitter sollen gleichzeitig als Fahrradständer dienen.
Engagement der Bürger für ihre Bäume lohnt sich manchmal doch. Möglicherweise ein kleiner Trost für Teresita und die Bewohner der Kastanienallee, die ihre Bäume nicht retten konnten.
Katharina Fial (April 2014)
Die Bäume in Zahlen
Etwa 44.000 Straßenbäume stehen in Pankow und 55.000 Bäume in Grünanlagen und auf öffentlichen Flächen. Jährlich pflanzt der Bezirk etwa 200 bis 250 neue Bäume, doch die Neupflanzungen wiegen die
Fällungen nicht auf. So wurden allein in diesem Winter rund 100 Bäume allein in Prenzlauer Berg gefällt. Dem Gesamtbezirk fehlen mindestens 500 Bäume.
Wer einen neuen Baum pflanzen lassen möchte, kann dies mit einer Spende tun. Rund 1200 Euro kostet ein komplettes Bäumchen samt Aufwachs-Pflege. Eine gute Gelegenheit dafür ist der 25. April. An
diesem Tag wird deutschlandweit der Tag des Baumes begangen. Infos über Baumpatenschaften gibt es hier: www.berlin.de/ba-pankow/verwaltung/aun/100_baeume_fuer_pankow.html
Weitere Informationen zum Baumschutz: berlin.nabu.de/themen/baumschutz/