Bürgerinitiativen
In manchen Sommernächten entlang des Prenzlauer Berges ist sie noch zu hören, diese merkwürdige Stille nach einem lärmerfüllten Tag. Und besonders in abgelegenen Seitenstraßen, die dann nur noch
von abgestellten Autos bevölkert werden, ist es fast körperlich zu spüren, ein beinahe friedliches Schweigen der Bleche. Aber zuweilen kann es auch hoch hergehen um diese Ruhe- und Parkzonen
unserer fahrbaren Untersätze. So auch im idyllisch wirkenden Kiez rund um die Gethsemanekirche, nahe der verkehrsdurchfluteten Schönhauser Allee.
Begonnen hatte alles mit den in den Jahren 2009 und 2010 hier veranstalteten „Weltspieltagen“. Eine Bürgerinitiative warb dafür, statt der vorhandenen Parkplätze mehr Spiel und Aufenthaltsflächen
ohne PKWs zu schaffen. Von ihrer ursprünglichen Idee, den Gethsemaneplatz komplett autofrei umzugestalten, erfuhren Anwohner und Betroffene erst, als ihr Bemühen mit Unterstützung der Grünen in
der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), dies umzusetzen, gescheitert war. Und gerade dieser „Ausgangsfehler“ mangelnder Bürgerbeteiligung sollte den Initiatoren noch schwer zu schaffen machen.
Ein angedachter „Planungsworkshop“, mit dem Ziel der „Schaffung zusätzlicher Spiel und Aufenthaltsflächen ohne Kfz im Platzbereich“, wurde im November 2010 im Fachausschuss der BVV mit großer
Mehrheit abgeschmettert. Einer Vertagung des Antrags, nach einer für den Januar geplanten Bürgerversammlung zu dieser Thematik, wollte die Bürgerinitiative nicht zustimmen.
Und so kam es, wie es wohl auch von den Anwohnern gewünscht wurde, im Januar zu einer ersten großen Aussprache in der Winterkirche, einem kleinen Raum hinter der Kirchenhalle. Thema: Schaffung
eines parkplatzfreien Gethsemaneplatzes. Über 50 Anwohner waren der Einladung gefolgt und hörten u.a. die Ausführungen von Cornelia Dittrich, eine Initiatorin der Bürgerinitiative. Sie beschwor
einen der schönsten Plätze Berlins, bei dem die Kirche jedoch auf einem Parkplatz stehe und im Gegenzug das Parkhaus an der Eselsbrücke unausgelastet sei. Und obwohl die Kirche von einer großen
Grünanlage umschlossen ist, und sich dahinter ein nicht minder großer Spielplatz befindet, gäbe es ihrer Meinung nach einen Mangel an Grünflächen und zu wenig Platz für Kinder. Als Resümee sei
für sie die Schaffung von mehr öffentlichem Raum auch Ausdruck einer gerechten Gesellschaft.
Und dann hatte Pfarrer Zeiske mitunter Mühe, die emotionalen Wogen der einsetzenden Diskussion zu glätten. Eine Gegnerin des autofreien Platzes war besonders darüber empört, dass diese Idee
zuerst an das Bezirksamt und nicht an die Anwohner übermittelt wurde. Das ließe auf einen Mangel an Demokratieverständnis schließen. Und eine andere Anwohnerin wies drauf hin, dass das angeblich
unausgelastete Parkhaus diese Probleme nicht lösen könnte, da die Preise bereits von 45 € auf 70 € pro Monat gestiegen sind. Besonders der vom Spielplatz ausgehende Lärm im Sommer wurde beklagt,
der durch die Schaffung weiterer Spielflächen nicht geringer würde. Auch die abends hier mit Ghetto-Blastern den Spielplatz bevölkernden Jugendlichen bekämen sicher noch mehr Zulauf. Und in dem
ganzen Hin und Her der Wortbeiträge gab es auch das Wort von einer „Konzept-Aufdrängung“ und einer Verdrängung, bei der andere Anwohner eben ein Auto-Problem bekämen.
So endete diese Bürgerversammlung dann mit hochaufgeladenen Emotionen, aber sicher nicht so, wie es sich die Initiatoren gewünscht hatten, obwohl sie auch eine zweite, abgemilderte Form der
Autofreiheit vorgestellt hatten. Aber von ihrer Sache Überzeugte geben nicht so einfach klein bei: eine schriftliche Meinungsumfrage wurde gestartet und 635 Fragebögen verteilt. Mit dem 26. Mai
sind die Ergebnisse öffentlich und bestätigen die Grundstimmung, die bereits auf der Anwohnerversammlung zu erleben war. Nur 123 Fragebögen wurden zurückgegeben. Vielleicht auch deshalb, weil
viele Frage einen recht suggestiven Charakter hatten und so strikt in gegenpolige Lager trennten. Die 83 Befürworter einer autofreien Nutzung machen aber nur 13,1 Prozent der Befragten aus. Und
auch sie sind nicht frei von Bedenken. So wird jetzt von den Initiatoren eine „kleine“ Lösung favorisiert – autofrei vom Spielplatz bis zur Kreuzung Gethsemanestraße Ecke Greifenhagener Straße.
Doch selbst hier stehen Parkautomaten einer Düsseldorfer Betreiberfirma ...
Treffe mich mit Peter Wollenhaupt, der mit seiner Hausverwaltung für 8 Häuser verantwortlich ist. Er ist neben Martin Müller und Inge Janzen einer der Initiatoren eines „Gegenprojektes“. Unter
dem Titel „Leben und Leben lassen“ hatte er Flugblätter auf die Zäunstäbe rund um die Kirche gespießt. Darin war u.a. zu lesen: „Wir haben es mit Leuten zu tun, die keine Autos mögen. Das ist ihr
gutes Recht. Aber ist es auch ihr Recht, uns ihre Sicht- und Lebensweise aufzwingen zu wollen? Es geht ja nicht um Autos. Es geht um unterschiedliche Lebensentwürfe. Es geht darum, dass hier
einige ihre privaten Lebensideen egoistisch durchsetzen wollen. Aber unser bisheriges gutes Zusammenleben war von Unterschiedlichkeit geprägt. Das war unser Konsens.“
Als die Flugblätter von den Stäben wieder abgerissen wurden, angeblich auf Weisung des Pfarrers, wurde eine zweite Serie in den Briefkästen der Umgebung verteilt.
„Überhaupt, dieser unschöne Kirchenzaun“, regt sich Peter Wollenhaupt auf, „der sollte ganz verschwinden, den gab es ja auch nicht als die Kirche gebaut wurde.“ Das würde dann auch mehr frei
zugängliche Grünflächen schaffen, ohne Parkmöglichkeiten weiter zu beschränken. Doch der Pfarrer sei dazu nicht bereit, fügt er resignierend an. Die Hunde würden dann auf den Hof kacken und auch
die Gartenpflegekräfte kämen nicht mehr zur Arbeit. Das wurmt Peter Wollenhaupt, Vater von 3 Kindern, der selbst bei einem Straßenfest dort ein kleines Kind vom Metallzaun geholt hatte, um es vor
Verletzungen zu bewahren. Dieses kompromisslose Wegdrücken der Autos ist für ihn kein Gesprächsansatz und das Nichtwollen eines Dialoges stimmt ihn traurig. Doch jetzt müsse er schnell los, zu
einem seiner Häuser.
So gelange ich, nur um die Ecke, zu Cornelia Dittrich, der Kontaktperson der Bürgerinitiative. Die aufgeschlossen wirkende Frau Anfang 40 bittet mich in ihre lichte, 130 qm große Wohnung mit
blankem Parkettboden. Ihren Mann lernte Mann lernte, die aus Süddeutschland Zugezogene, während ihres Architekturstudiums in Freiburg kennen, kümmert sich aber jetzt um die Erziehung ihrer drei
Kinder. Wie sie denn auf solch eine Initiative gekommen sei, frage ich nach. Und dann erzählt sie mir, von Frank Möller, der im Anti-Auto-Aktivisten-Netzwerk „Carambolagen“ tätig ist. Unser Motto
lautet: „Die Vorherrschaft des Autos beenden“, kann man dort nachlesen. Und auch: „Aber vor allem gilt: Geduld war gestern, Carambolagen bedeutet AKTION. Also ran an das Blech!“ Ja, und dieser
Frank Möller hat sie dann so einfach gefragt: „Warum machst Du nicht die Gethsemanekirche? Und mit diesem Anstoß kam alles ins Rollen ...“.
In rückbesinnlicher Begeisterung holt sie ein riesiges Pappmodell des Gethsemanekirchen-Umfeldes hervor. Wie bei einem alten Magnet-Angelspiel konnten die Kinder am Weltspieltag die ollen Autos
von den Parkplätzen fischen. War sicher ein schöner Spaß. Doch so kämpferisch, wie ich mir diese Frau nach ihren Aktivitäten schien, wirkte sie nicht auf mich, eher freundlich zurückhaltend. Wie
auf etwas zurückblickend, was so schön gewesen wäre, aber so wohl doch nicht zustande kommt. Nein, sie bräuchten kein Auto. Und ihr Mann fährt zu seiner Arbeitsstelle am Bahnhof Zoo täglich mit
dem Rad. Und dann zeigt sie mir noch einmal Entwürfe, in denen der Teil der Stargarder Straße vor der Kirche als „Shared Space“ geplant ist, eine Begegnungszone, in der alle gleichberechtigt
sind, Bewegung durch Kommunikation entsteht, aber keine Parkmöglichkeit vorhanden ist. Das ist heftig, vor allem an diesem Ort. Aber auch was ein Wendehammer ist, konnte ich durch Nachfrage
erfahren. Und war plötzlich weit weg – Herbst 1989, als hier erste zaghafte Schritte zur Demokratie hin unternommen wurden.
Dieter Buchelt (Juli 2011)