JUGENDEINRICHTUNGEN

Es droht die Schließung

Vor wenigen Tagen, am 20. September, feierte der ganze Globus den Welt-Kindertag. Bereits einige Zeit zuvor schlugen diejenigen Alarm, die das ganze Jahr über für Kinder da sind: Die Kinder- und Jugendeinrichtungen Pankows. Sie bangen um ihre Existenz.

Junge Menschen brauchen Raum, Zeit, Zeug und Partner:innen. So beherzt wie liebevoll umschreibt dieser Satz aus dem Leitbild des Netzwerkes Spiel/Kultur die Arbeit, die die Mitarbeitenden des Vereins seit über drei Jahrzehnten in Pankow leisten. Auf den Abenteuerspielplätzen beispielsweise, auch in anderen Einrichtungen der offenen Jugendarbeit.

Diese so wichtige Arbeit sehen die Jugend-Arbeiter:innen nun akut bedroht. Denn sie befürchten weitere finanzielle Kürzungen. Die AG § 78 Offene Kinder- und Jugendarbeit Pankow, ein Gremium des Jugendamtes und der freien Träger, beziffert das entstehende Defizit in einem Brandbrief auf rund 1,1 Millionen Euro. Dies könne zur Schließung von bis zu zehn Einrichtungen im Bezirk führen. Bis zu zehn Einrichtungen, wohlgemerkt.

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Bald nur noch Erinnerung? Pankower Jugendeinrichtungen wie der Abenteuerliche Bauspielplatz Kolle 37 fürchten um ihre Existenz.

OFFENE IDEEN IM LOCKDOWN

Es brauchte keine Corona-Pandemie, um die Bedeutung der Häuser und Plätze für Kinder und Jugendliche zu beweisen. Und dennoch, in dieser seit über eineinhalb Jahren andauernden Krisenzeit sind Abenteuerspielplätze, Kinderbauernhöfe und Jugendclubs für viele Kinder und Jugendliche die wenigen Orte, an denen sie sich mit Gleichaltrigen treffen, wo sie jemandem ihre Sorgen anvertrauen oder einfach ein Stück Normalität erleben konnten und können. 

Mit „Zaungesprächen“ und vielen kreativen Ideen – vom digitalen Mitmach-Hörspiel über den Fuchs vom Abenteuerlichen Bauspielplatz Kolle 37 bis hin zum Bastelmaterial zum Abholen am Gartentor der Jugendfarm Moritzhof – hielten die pädagogischen Mitarbeitenden auch während der vergangenen Lockdowns den Kontakt zu den Kindern, bis sie die Türen für diese wieder öffnen konnten. Insbesondere Einrichtungen mit großen Außengeländen entwickelten sichere Angebote im Freien mit wirksamen Hygienekonzepten und ermöglichten Kindern und Jugendlichen auf diese Weise den so wichtigen physischen Austausch mit Freundinnen und Freunden.

Wie sehr sich die Kinder nach Bewegung und dem Kontakt zu anderen Kindern und den Tieren gesehnt hatten, weiß Birgit Blank, pädagogische Mitarbeiterin auf der Jugendfarm Moritzhof: „Sie waren sogar häufiger da als sonst“. Die Kinder überraschten die Mitarbeitenden der Farm mit Geldspenden für die Moritzhof-Tiere: Es waren die Erlöse aus zwei selbstorganisierten Spielzeug-Flohmärkten.

Die Einrichtungen der freien Träger sind auf Spenden angewiesen. Für sie war es besonders schmerzhaft, dass während der Pandemie dringend benötigte Sach- und Geldspenden, Teilnahmebeiträge und Einnahmen aus Vermietung als zusätzliche Mittel wegbrachen. Die Jugendarbeit in Berlin ist generell seit Jahren unterfinanziert. Während in anderen Bezirken viele Einrichtungen geschlossen wurden, kämpften die Jugendeinrichtungen Pankows jahrelang gemeinsam für den Erhalt der Vielfalt aller Angebote. Darunter leidet die Ausstattung der Einrichtungen. 4,6 Vollzeitstellen müssten etwa auf dem Abenteuerlichen Bauspielplatz Kolle 37 laut offizieller Ausstattungsstandards finanziert werden, das zugeteilte Geld reicht indes lediglich für 2,7. Der Träger, Netzwerk Spiel/Kultur Prenzlauer Berg, sah sich Anfang 2020 gezwungen, die Einrichtung montags zu schließen und erklärte hierzu: „Viele Jahre lang konnten wir Einsparungen tätigen, Zusatzgelder akquirieren oder Angebote reduzieren, ohne dass die Kinder direkt davon betroffen waren. In diesem Jahr ist die Finanzierungslücke so nicht mehr zu schließen. Unsere Mitarbeitenden haben ein Recht auf faire Bezahlung“.

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Sicheres Spielen und Erleben auch in Pandemie-Zeiten: Die Jugendfarm Moritzhof. Fotos (2): NSK

ERSTE ANLAUFSTELLEN

Joe Krause vom Abenteuerlichen Bauspielplatz Kolle 37 hat erlebt, was passiert, wenn Einrichtungen geschlossen sind: „Als wir im ersten Lockdown zu hatten, haben sich die Kinder hinter dem Platz getroffen und dort Feuer gemacht!“. Lukas Hanke vom Landesverband der Abenteuerspielplätze und Kinderbauernhöfe in Berlin gibt zu bedenken, was passieren würde, wenn Einrichtungen durch Sparmaßnahmen dauerhaft geschlossen blieben und fasst es so zusammen: „In der Jugendarbeit kann man gar nicht sparen!“. Denn die offene Jugendarbeit wirkt wie Prävention. Mit ihren niedrigschwelligen Angeboten sind die Einrichtungen oft erste Anlaufstellen für Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen Problemlagen. Die Pädagog:innen unterstützen in Krisen und begleiten Jugendliche bei der Ablösung aus der Familie, bevor teure Hilfen installiert werden müssen.

Die Jugendeinrichtungen sind durch die pädagogische Begleitung und ihre Prinzipien wichtige sichere Orte für Kinder. Die Kinder und Jugendlichen finden hier Räume für sich, in denen sie sich frei von Bewertung und Druck ausprobieren und im Leben lernen können. Sie erleben Selbstwirksamkeit und übernehmen Verantwortung. Anders als bei Sportvereinen oder Freizeitkursen ist der Zugang zu den Angeboten der offenen Arbeit ohne Hürden. Es gibt keine festen Kurszeiten, Mitgliedschaften oder Kosten. Dadurch wird eine bunte Mischung an Kindern und Jugendlichen erreicht, die in der Interaktion miteinander wichtige Grundlagen unserer Demokratie lernen: Argumentation, Kompromisse finden, Zusammenarbeit, Konfliktbewältigung.

Bis Ende 2022 puffern noch Mittel aus dem Bund-Länderprogramm „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ den aktuellen Notstand ein wenig ab. Doch die Jugendeinrichtungen fordern schon jetzt von der Politik, die Finanzierung der Jugendarbeit darüber hinaus zu sichern.

-al-, Oktober 2021