Was macht die Kunst? Die Frage ist eine Floskel und zeigt doch zugleich, wie sehr die Kunst in unseren Alltag eingezogen ist. Auch sprachlich. Doch was macht die Kunst jetzt, in diesen Zeiten, da unser Alltag auseinanderdriftet? Was machen die, die für uns Welten erfinden, Gedanken übersetzen, Lach-Momente schaffen? Zwei Stimmen aus dem Theater Prenzlauer Bergs, viele Eindrücke, Fragen, Ideen.
Geschlossen. Von einem Tag auf den anderen. Wir erinnern uns: Im März, vor genau einem Jahr, noch vor dem ersten Lockdown, schlossen die Museen, die Galerien, die Theater, die Kinos, die Clubs. Im Frühsommer waren sie die letzten, die wieder öffnen konnten. Manche, etwa die Clubs, öffneten seit einem Jahr gar nicht. Anfang November 2020 dann, mit dem, was alle „weichen Lockdown“ nennen, waren die Kunst- und Kultureinrichtungen wiederum die ersten, die dicht machen mussten – ähnlich den gastronomischen und touristischen Einrichtungen. Und nun, im März des Jahres Zwei der Pandemie, gibt es wenig Perspektive, wann und wie es weitergeht.
NÄHE UND DISTANZ
Auf und Zu. Arbeiten und Leben in einem neuen Rhythmus. Den bestimmen nicht Premieren-Termine oder lang geplante Vernissagen, den bestimmen R-Faktoren und Inzidenzen im Zwei-Wochen-Takt.
Und neben diesem neuen Rhythmus schiebt sich ein neues Gebot in den Wesenskern der Kunst. Das Gebot der Distanz. Dabei leben doch Theater, Kino, Tanz, Konzerte, Galerien – die Kunst in ihren verschiedenen Genres und Spielarten – von der zwischenmenschlichen Begegnung. Events wie die Fete de la Musique leben davon, dass da jemand an der Straßenecke spielt und die Vorübergehenden zum Schauen und Hören stehen bleiben, einen Pulk bilden, applaudieren. Ein Orchester lebt davon, dass die MusikerInnen dicht an dicht sitzen, um ihrer Musik die nötige Harmonie zu verleihen. Von der menschlichen Nähe lebt erst recht die darstellende, performative Kunst, um die es in diesem Text gehen soll. Sie lebt davon, dass Menschen im Publikum und Menschen auf der Bühne zur gleichen Zeit das Gleiche erleben, die gleiche Luft atmen.
Eigentlich ist das so. Doch was ist schon eigentlich, seit einem Jahr. „Theater findet seine Wege“, sagt Dominik Schäfer vom Improvisationstheater BühnenRausch. Die Kunst wäre nicht die Kunst, wenn sie nicht dennoch ihre Frei- und Spielräume suchen würde. Wenn sie nicht versuchen würde, die Distanz, die die Pandemie erzwingt, mit ihr eigenen Mitteln zu überbrücken. Sie geht an andere Orte - ins Digitale, auf die Balkone, in die Schaufenster. Sie verändert sich, um ihrem Publikum nahe zu sein. Und wie geht das? Durch Suchen, Probieren, Herausfinden. „Theater kann man nicht einfach nur abfilmen“, sagt Tina Pfurr, Performerin und Co-Leiterin des Ballhaus Ost. Die Szenerie, die Atmosphäre einer Bühne passen nicht in das Format einer Kamera. Nicht der Körperausdruck, die Mimik der Darstellenden.
Tina Pfurr hat selbst gerade eine Performance, die als Live-Act geplant war, fürs Digitale inszeniert. Sie hat das große Thema Trauer in fünf Video-Miniaturen angerissen, umkreist. Mit Licht, Film, Schnitt, für sie teilweise neuen Werkzeugen. Die Arbeit ist anders geworden als geplant, das Thema Trauer wird sie weiter beschäftigen. Jetzt arbeitet die Performerin an einem Hörspiel dazu. Tina Pfurr hat ihre Video-Miniaturen „I just called to say… sHes dead“ zu festgelegten Terminen ins Netz gestellt. Anders als bei anderen digitalen Streaming-Angeboten sind sie nicht rund um die Uhr verfügbar. Denn auch das ist ja eine Besonderheit von Live-Performance-Kunst: Sie findet zu einer bestimmten Zeit statt. Die digitalen Termine Pfurrs zitieren diese Besonderheit.
Probieren, Herausfinden. Am Ballhaus Ost suchen KünstlerInnen und Gruppen auf vielfältige Weise ihre Wege zum Publikum. Ob über Messenger-Dienste oder als Zoom-Konferenz – das Publikum geht diese Wege gern mit, so Pfurr. Und auch das alljährliche Performance Arts Festival im Mai im Ballhaus setzt auf digitale oder hybride Theaterformen.
BÜHNEN ÜBERALL
Die Kunst verändert sich, will sie bei ihrem Publikum bleiben. Die Improvisations-DarstellerInnen des BühnenRausch streamen seit Mai 2020 zweimal wöchentlich eine Show. „Sie brauchen ein gutes Mikrophon, damit der Ton gut rüberkommt“, sagt Dominique Schäfer. „Das Publikum verzeiht ein Wackel-Bild, aber bei schlechtem Ton schalten die Menschen ab.“ Das sind die technischen Details. Die spielerischen: Eine Kunstform, die vom Zuruf des Publikums lebt, daraus einen Theaterabend improvisiert, agiert nun auf Impulse des Publikums aus dem Chat. Eine Dreiviertel Stunde vor dem Beginn des Abends gibt das Publikum seine Wünsche online an die DarstellerInnen. Die machen daraus dann die digitale Show. An ganz unterschiedlichen Orten. Die Beweglichkeit der Kamera löst die DarstellerInnen von der Fixiertheit auf den Bühnen-Raum. Sie können draußen auf der Straße drehen oder an der Bar.
Das digitale Theater verändert auch das Personal: Neben zwei DarstellerInnen gehören nun jemand, der die Publikums-Kommentare in Empfang nimmt und weitergibt, und jemand an der Kamera zum Ensemble.
Digitale Theaterformen verändern das Publikum. Durch größere Reichweiten erreichen die KünstlerInnen mehr Menschen. Auch Menschen, die sonst nicht ins Theater gehen oder kommen können. Tina Pfurr hat zu ihrer Video-Performance rund 300 Klicks. Soviel Menschen passen nicht an einem Abend in den Ballhaus-Ost-Theatersaal. Das BühnenRausch streamt auch mitten in der Woche, weil die Menschen ja zu Hause bleiben können, während sie die Show sehen.
Bleibt die Frage des Entgelts dieser digitalen Theatererlebnisse. Die meisten Ensemble, auch das BühnenRausch; auch viele aus dem Ballhaus Ost, agieren auf Spenden-Basis, und ja, die Menschen spenden. Aus Freude, dass Ihnen etwas geboten wird. Aus Wertschätzung denen gegenüber, die da Kunst arbeiten. Dennoch: Es gibt auch Abende, da kommt wenig bis gar kein Geld rein.
WANN UND WIE?
Die Frage an Tina Pfurr und Dominik Schäfer, was sie beide derzeit umtreibt, beantworten beide, die doch ganz unterschiedliche Theaterformen repräsentieren, auf ähnliche Weise: Wie und wann werden sie wieder öffnen können? Die BühnenRausch-ProtagonistInnen sind in diesem Mangel-Jahr geschrumpft. Einige der 30 Stamm-Gruppen haben sich aufgelöst, andere wollen aus Sicherheitsgründen nicht spielen. Wieder andere wollen sich nicht ins Digitale verlegen. Wer kommt zurück? Und: Wieviel Publikum kommt zurück, traut sich? Viel Energien und Geld haben die TheaterMacherInnen in Belüftungsanlagen und Hygienekonzepte gesteckt.
Im Ballhaus Ost gibt es einen „Produktionsstau“, wie Tina Pfurr sagt. Bis zum Jahresende 2021 warten bereit geprobte Stücke darauf, live gezeigt zu werden. Damit sind kaum Raum, kaum Termine für neue, andere Produktionen mehr übrig. Und auch Tina Pfurr fragt sich: Was bleibt von der großen Wertschätzungswelle des Publikums, die die Theaterleute durch diese holprigen Zeiten trägt? Kommen die Menschen wieder an den Live-Ort, zur leibhaftigen Begegnung mit der Kunst? Oder bleiben sie Zuhause, weil es bequemer ist?
Katharina Fial, März 2021