LEBENSTHEMA STERBEN

Die Abschieds-Kompetenz

Wie wollen wir leben? Die Frage nach unserem Dasein, jetzt und künftig, durchzieht die gegenwärtige Zeit. An die Frage nach dem Leben ist die Frage nach dem Tod geknüpft. Nach Ängsten davor, nach Strategien mit seinem Umgang. Bestatter Eric Wrede über das Sterben.

Kleine bunte Schilder und Zettel an einem Bauzaun, in Kinderschrift beschrieben: „Ich wünsche mir, dass ich bald wieder mit Oma und Opa kuscheln kann“, steht darauf. Oder: „Ich wünsche mir, dass mein Hamster gesund bleibt“. Oder auch: „Ich wünsche mir, dass meine Oma nicht stirbt.“ Krankheit und Sterben scheinen in diesen Winter-Monaten allgegenwärtig. Erreichen mit Wucht auch Grundschulkinder. 

Der Tod ist präsent. Mit ihm die Angst. Zur Angst zu sterben kommt die Angst, andere mit dem gefährlichen Virus anzustecken. Die Angst vor dem Verlust. Sie steuert unser Verhalten: Nicht mit Oma und Opa kuscheln.

 

ÄNGSTE

Der gegenwärtig als Übermacht erscheinende Tod fordert eine analytische Frage: Warum haben wir Angst davor? Weil Tod Kontrollverlust bedeutet, sagt Bestatter Eric Wrede. Ungewissheit. Der Tod unterwirft sich keinen Regeln, zumindest denen des Verstandes nicht. Er ist nichts, was man mit dem Verstand oder mit Geld regulieren kann. Mittel, die wir kennen. Für den Tod fehlen uns diese Mittel, oft auch die Worte. Uns fehlen Vorbilder und Strategien.

Der Umgang mit dem Tod hat viele Facetten. Anfang vergangenen Jahres gewährte das Bundesverfassungsgericht in Deutschland das Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Die Debatten darüber, ich welchen Fällen und unter welchen Bedingungen; das Zitieren von Paragraphen und ethischen Maßstäben überstimmten eine Zeitlang die Wortlosigkeit und waren doch auch Zeichen von Angst. Dann kam die Pandemie. Mit ihr die Bilder der gestapelten Toten in Italien.

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Angst und Sehnsucht: Kindlicher Wunschzettel am Zaun einer Grundschule im Thälmannpark.

GESCHICHTEN 

Es gibt ein Kinderbuch, darin zieht sich ein alter Fuchs mit einer Kiste in den Wald zurück. Er erzählt den Kaninchen Geschichten aus seinem Leben, bringt ihnen Tricks bei. Dann legt er sich in seine Kiste und stirbt. Die Kaninchen sind traurig, vermissen ihn. Wenn sie ihn am schlimmsten vermissen, erzählen sie sich seine Geschichten und essen die Tomatensuppe, die der Fuchs so gern mochte. Die Autorin Antje Damm hat das Buch ihrem Großvater gewidmet.

Ja, sagt Eric Wrede. Trauer ist etwas, das vielleicht nie verschwindet. Du wirst dich, wenn du jemanden verloren hast, immer an den Verlust erinnern. Auch an den Menschen, den du verloren hast. „Es ist okay. Es tut gleichmäßig weh.“, sang Herbert Grönemeyer vor Jahren. Jahre, nachdem ihm seine Frau Anna weggestorben war.

Möglicherweise sind Rituale wie das Essen der Fuchs-Tomatensuppe oder das Öffentlichmachen von Trauer Mittel für einen Umgang mit dem Tod. Auch Eric Wrede schreibt und redet öffentlich über das Sterben. In seinem Podcast „The End“ spricht er mit Prominenten über deren persönliche Erfahrungen von Verlust und Schmerz. Wie der Tod das Leben verändert. „Ich bin nicht einverstanden mit dem Tod“, sagt etwa Tocotronic-Musiker Jan Müller, der als Teenager seinen Bruder verlor – und ihn heute noch vermisst. „Der Tod hat nicht das letzte Wort“, sagt Schauspielerin Anke Engelke, die in einer aktuellen Fernseh-Serie eine Trauerrednerin spielt, „es wäre toll, wenn die Menschen keine Angst mehr hätten vor dem Thema Tod.“

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Bestatter Eric Wrede spricht in seinem Podcast über den Tod. Foto: Daniel Rensing

EINSAMKEIT

Die Pandemie vermehrt das Sterben und setzt ihm gleichzeitig neue Grenzen, so paradox das klingen mag. Einsamer sei der Tod geworden, so Bestatter Wrede. Einsamer auch das Trauern. Kontakt- und Zugangsbeschränkungen in Alters- und Pflegeheimen und Krankenhäusern isolieren Sterbende und Angehörige voneinander. Nicht nur an Corona Sterbende. 

Für die Angehörigen kommt der Tod plötzlicher, schneller – weil sie das Sterben nicht begleiten können. Wrede: „Man merkt dem Körper ja an, wenn der Mensch geht“. Zum abrupten Verlust kommen möglicherweise Schuldgefühle, weil sie am Ende nicht da waren. Mit diesen Gefühlen bleiben die Familien allein, die Kontaktbeschränkungen reduzieren das soziale Umfeld und damit die Menschen, die Beistand leisten können. „Gegenwärtig nehmen Angehörige viel auf sich“, sagt Wrede und beschreibt, dass vor allem viele ältere Familienmitglieder aus Rücksicht und Angst nicht zu Beerdigungen kommen bzw. wegen der Kontaktbeschränkungen auch nicht können. Oft bleibt dann nur die Möglichkeit, sie per Video zuzuschalten. Wir werden wohl erst in einigen Jahren wissen, was diese beschränkte Trauer für die Menschen bedeutet.

 

TROST

Was könnte den Tod weniger bedrohlich machen? „Abschiedskompetenz“, sagt Eric Wrede. Das Vermögen, mit emotionalen Ausnahmesituationen umzugehen – sei es das erste Mal Verliebtheit oder eben der Tod. Für Wrede besteht ein Mittel der Abschiedskompetenz darin, sich selbst und seine Trauer wahrzunehmen. „Oft haben Menschen das Gefühl, Mustern entsprechen zu müssen: Wie verhalte ich mich als trauernde Witwe?“ Er, als Bestatter, lenkt dann gern den Blick der Trauernden auf sie selbst: Was tröstet sie jetzt? Was brauchen sie? Und er plädiert für einen selbstbestimmten, selbst gestalteten Abschied. Zum Beispiel körperlich. Durch das Berühren, das Einkleiden der Toten. Zum Beispiel dadurch, so viel wie möglich selbst zu machen, bewusst zu machen. „Sich des Abschieds ermächtigen“, sagt Wrede.

„Wohin gehst Du?“ fragen in dem Kinderbuch die Kaninchen den sterbenden Fuchs. „Das weiß ich nicht“, antwortet der, „aber bestimmt wird es dort schön sein. Denkt an mich, dann bin ich nicht allein.“ 

Im Bötzowkiez zünden seit einigen Wochen BewohnerInnen Kerzen für die Verstorbenen der Pandemie an.

Katharina Fial, Febr. 2021