Ein Interview mit Sascha Hilliger gerät schnell zum Dialog. Der Vorsitzende des Pankower Tourismusvereins will einfach zu viel selbst von seinem Gegenüber wissen. Diese Einladung zum Gespräch ist keine schlechte Strategie für einen, der Prenzlauer Berg und Pankow als Gastgeber für Besucher versteht.
Was ist Tourismus? Das ist eine der ersten Fragen, die Sascha Hilliger stellt. Eine Frage, mit der sich der gelernte Hotelfachmann Zeit seines Berufslebens beschäftigt. Hilliger listet die Antworten auf, zunächst die Negativ-Klischees und -Auswirkungen: Rollkoffergeplagte Bewohner, Partymüll in den Parks, die Geräuschkulissen von Konzerten und Freiluft-Restaurants. Dann, auf Nachfrage, nennt er die positiven Aspekte: Förderung von Wirtschaft und Kultur, Standortmarketing, belebte Kieze, „ein gefülltes Restaurant ist angenehmer als ein leeres“. Nicht zuletzt: Kultureller Input und Austausch. Die einstigen Touristen seien heutige Bewohner, sagt Hilliger. Viele, die einst als Ortsfremde durch Prenzlauer Berg streiften, leben jetzt hier. Auf den Punkt gebracht: „Die Kieze leben vom Tourismus.“
Die Besucher
Und dann, nach Abwägen und Diskutieren beider Aspekte, der Schattenseiten und des Gewinns, kommt der Vorsitzende des Tourismus-Vereins zu einer Vision, wie Tourismus zu definieren sei. Touristen seien Besucher, die besuchten Orte dementsprechend die Gastgeber. Diese Definition impliziert eine Änderung zu einer offenen Haltung, mit der Probleme dennoch nicht weggeredet werden. Auf diese Weise betrachtet, haben Prenzlauer Berg und der Gesamtbezirk Pankow Besucher ganz unterschiedlicher Art: Städte- und Weltreisende, auswärtige Angehörige von hier Lebenden, Berlinerinnen und Berliner aus anderen Stadtbezirken. Diese Definition real genommen, sei zu fragen, welche Gründe die Besucher für ihren Besuch haben und wie das in Einklang, oder: in einen kulturellen Austausch, zu bringen ist mit den Bedürfnissen der Bewohner.
Entdeckbar werden die schönen und besonderen Seiten der Quartiere und Kieze damit auch für die Bewohner, die über die Markierungen ihres eigenen Wohnumfeldes treten. Wie zum Beispiel das Schloss Schönhausen. Ein architektonisches Kleinod und Zeitzeuge preußischer und deutsch-deutscher Geschichte. Oder das Velodrom bei einem Konzert von Madonna.
Die Strategie
Als Sascha Hilliger vor knapp 15 Jahren den Vorsitz des Tourismusvereins übernahm – damals hieß er noch Tourismusverein für Prenzlauer Berg und hatte Pankow und Weißensee weniger im Blick – waren solche Schönheiten abseits der üblichen Pfade noch im Verborgenen. Mit einem Wegeleitsystem, mit dem Touristikbüro in der Kulturbrauerei, mit einer Bündelung der kulturellen und touristischen Vielfalt auf einer Plattform entstand seitdem Baustein für Baustein ein Konzept für Besucher. Das schließt auch die Präsentationen auf internationalen Touristen-Messen ein.
Die To-Do‘s einer Strategie sind noch längst nicht abgearbeitet. In absehbarer Zeit soll zum Beispiel eine Umfrage unter den Bewohnern starten, wie sie sich Tourismus im Bezirk vorstellen. Damit sich die Vision vom Gastgeber und seinen Besuchern mit Leben füllen lässt.
Die Neugier
Wer über den Prenzlauer Berg als Gastgeber spricht, der kommt um die Klischees nicht drumherum. Das des Szenebezirks und der Kreativ-Schmiede; der Latte-Macchiato-Mütter beispielsweise. Klischees, die Besucher auch heute noch anziehen. Die dann etwas Eigenes finden. Spuren der jüdischen Vergangenheit; Rudimente der deutsch-deutschen Teilung; eine internationale Einwohnerschaft. Oder solche einzigartigen Ensembles wie die Kulturbrauerei, diesen Mix aus Kulturgeschichte, Wirtschaft und Kunst. Studierende und Stadtplaner aus der ganzen Welt kommen wegen dieses funktionierenden Modells von Kultur- und Wirtschaft. Insofern sei es wesentlich, für den Erhalt der Vielfalt in der Kulturbrauerei zu sorgen, sagt Hilliger.
Zu spüren sei indes auch ein Wandel des Besucher-Interesses: Wer von auswärts kommt, sei inzwischen auch sehr am Alltag in den Kiezen interessiert. Und da böte Prenzlauer Berg mit seinen vielen kreativen Geschäften und Cafés, mit den Manufakturen jeglicher Art, zahlreiche einzigartige Adressen. Und eine Atmosphäre, die als weltoffen zu bezeichnen wäre.
Die Nachbarschaft
Der Vereins-Vorsitzende und hauptberufliche Projektmanager zog vor über 20 Jahren nach Prenzlauer Berg, aus Neugier. Wenige Jahre später gründete er im Stadtteil ein Hotel. Mit seinem Anspruch als Gastgeber öffnete er das Haus auch für die Nachbarschaft. Myers Hotel ist inzwischen ein kultureller Veranstaltungsort: mit Salons und Konzerten, Lesungen, Ausstellungen. Und mit der Einladung, diesen offenen Ort für eigene Veranstaltungen zu nutzen. „Mir war es von Anfang an wichtig, mich in das Umfeld einzubinden.“ Auf ähnlich integrierende Weise arbeitet er mit den anderen Hotelbetreibern und Vertretern der Tourismus-Branche zusammen. „Wir sollten die Gäste erst einmal hierherholen, dann können wir uns um sie streiten.“
Die Lieblingsorte
Eine Interview-Frage beantwortet Sascha Hilliger sehr ausführlich, ohne Gegenfrage. Die nach seinen eigenen Lieblingsorten in seinem Touristik-Bezirk Pankow: Kulturbrauerei, die Biergärten von Prater und Pfefferberg, sagt er. Ab und an der Markt auf dem Kollwitzplatz. Der Weiße See und der Botanische Garten. Überhaupt: Freiflächen. Aus privaten Gründen lebt Sascha Hilliger nicht mehr in Prenzlauer Berg, doch er arbeitet hier – hauptberuflich im Hotel; nebenberuflich als Kopf des Tourismus-Vereins. Insofern ist er eine ganz eigene Spezies seiner Besucher-Definition.
-al-, März 2018