Wir alle tragen Geschichten zu diesem Mauerfall 1989 mit uns herum, selbst erlebt oder als Erzählung. Sie werden in diesem Jahr, dem 30. Jubiläum des welthistorischen Ereignisses, erinnert und weitergeschrieben. Prenzlauer Berg hat mit der Bornholmer Brücke, auf der alles begann, eine besondere Biografie rund um den 9. November 1989. Die Geschichte in Bildern.
Beginnen wir mit Filmbildern. Die Prenzlauerberginale, jenes charmante, hintergründige Filmfestival, macht den Mauerfall bzw. das Jubiläum in diesem Jahr zum Schwerpunkt ihres Programms und eröffnet mit Filmen vom 9. November 1989 und den Monaten danach. Am Starttag, dem 5. März, gibt es die unvergesslichen Szenen auf der Bornholmer Brücke. Wir sind dabei, wenn sich am frühen Abend die Fläche vor dem Grenzübergang an der Bornholmer Straße mit Leuten füllt, die auf die Maueröffnung warten. Wir sind auch dabei, wenn zwei Tage später der Sender RIAS TV live von der Öffnung des provisorischen Grenzübergangs zwischen Eberswalder und Bernauer Straße berichtet. Ein weiterer Film zeigt DDR-Bürger, die nach ihrem ersten West-Besuch befragt werden. Und schließlich zeigt die „Prenzlauerberginale“ eine Dokumentation kurz vor der Währungsreform im Juli 1990, die von der Stimmung, den Sorgen und Hoffnungen in den Kneipen und Tanzlokalen am Prenzlauer Berg berichtet, im Prater und dem Wiener Cafe beispielsweise. Wolfgang Thierse, Bundestagspräsident a. D. und prominenter Bewohner des Prenzlauer Berges, ist Schirmherr der Prenzlauerberginale und zum Eröffnungsabend dabei.
NACH DEM MAUERFALL
Das historische Ereignis in Fotos. Im Museum in der Kulturbrauerei sind Fotografien zu sehen. Daniel Biskup ist einer der Zeitzeugen, der die bewegenden Monate vor dem Mauerfall und die Jahre danach mit seiner Kamera festhielt. Biskup ist ein Zeitzeuge der besonderen Art. Der Fotograf reiste schon im Sommer 1989 nach Ungarn, um dort DDR-Flüchtlinge zu porträtieren. Er erlebte sie in den Momenten ihres Lebens, als sie sich entschlossen, ihr bisheriges Leben hinter sich zu lassen, um frei sein zu können.
Biskup fotografierte die Grenzöffnung an der Bornholmer Brücke; er fotografierte den Tag der Wiedervereinigung und vor allem auch die Jahre danach. Als die Euphorie verflogen war, als Arbeitslosigkeit, Armut und oft auch Perspektivlosigkeit in den ostdeutschen Alltag einzogen. „Ich glaube, dass in dieser Zeit eine der Erklärungen liegt für die unsichtbare Grenze zwischen Ost und West, die es immer noch gibt.“, sagt Biskup. „Im Osten wurde alles auf den Kopf gestellt. Ganze Lebensentwürfe wurden entwertet.“ Einige seiner Schwarz-Weiß- und Farb-Aufnahmen zeigen denn auch die enttäuschten Menschen. Er zeigt Demonstrierende, die ab 1991 wieder zu Montagsdemonstrationen in Leipzig kamen, nur diesmal, um dagegen zu protestieren, „Bürger zweiter Klasse“ zu sein. Biskup zeigt Menschen bei der Arbeit, und Menschen, die ihre Arbeit verloren – und sich fragen warum, und wie es nun weiter gehen soll. Er zeigt auch stillgelegte DDR-Betriebe, wirft einen Blick auf den desolaten Zustand der Infrastruktur. Oder auf Sex-Shops und Straßenstriche, die nach der Wiedervereinigung auch im Osten eröffneten.
„Nach dem Mauerfall“ heißt die Schau in der Kulturbrauerei – und macht sehr eindrücklich jene Jahre nach dem historischen Ereignis wieder lebendig, als Politik, Kultur und Gesellschaft sich überschlugen. Biskup: „Der Osten bekam die D-Mark. Gebraucht hätte er Wertschätzung.“
VOR UND NACH DEM MAUERFALL
Auch die Prenzlauerberginale zeigt im Kino Babylon eine begleitende Fotoausstellung mit Fotos aus Prenzlauer Berg. „OST FARBE WEST“ heißt die Schau der Schweizer Fotografin Nelly Rau-Häring. Sie zeigt die ersten kleinen Veränderungen kurz vor der Währungsreform im Juli 1990. Die ersten Döner werden verkauft, den Goldbroiler will niemand mehr haben, die ersten Werbeplakate kleben auf ungenutzten Schaufenstern. Rau-Härings Fotos sind Aufnahmen jener Zwischenzeit, als vieles noch möglich schien – und die Euphorie noch nicht verbraucht war.
Und wie war es die Jahre davor und die Jahre danach? Die drei weiteren Filmabende der Prenzlauerberginale ab dem 12. März widmen sich Bekanntem und Unbekanntem, lange Verbotenem und auch nie Gezeigtem aus den Jahren 1972 bis 2006. Dabei sind Klassiker wie „Sommer vorm Balkon“ von Andreas Dresen, aber auch Unbekanntes wie die DEFA-Dokumentation „Nachtarbeiter“ von 1973, Fernsehberichte wie „Ein Haus im Prenzlauer Berg“ von 1980 und fast Vergessenes wie Lothar Warneckes DEFA-Spielfilm „Die Beunruhigung“ mit Christine Schorn und Hermann Beyer aus dem Jahr 1982. Am letzten Abend liegt der Schwerpunkt auf dem Thema Homosexualität in der DDR – mit „Coming out“ (Heiner Carow, DEFA, 1990) und „In Sachen H. und acht anderer“ (Richard Cohn-Vossen, DEFA-Dokumentation, 1972). – An allen Abenden des Festivals im Kino Babylon sind Macher und Mitwirkende der Filme dabei.
PRENZLAUERBERGINALE SUCHT FOTOS
Und ganz am Ende noch ein Ausblick auf die nächste Prenzlauerberginale 2020. Sie wird die letzte sein. Und auch hier spielt die Zeit bis zum Mauerfall eine Rolle, eine fotografische. Den Alltag zwischen Schönhauser und Landsberger 1961 bis 1989 will Festivalorganisator Stephan Müller zeigen und sucht dafür Fotos. „Schauen Sie doch einmal in Ihrem Fotobestand, was sich da an Schätzen verbirgt. Wichtig ist uns, dass die Bilder keine Innenansichten zeigen, sondern draußen aufgenommen wurden, etwa beim Spaziergang, am Arbeitseinsatz oder beim Volksfest.“, wendet sich Müller an die Berliner. Kopien der Bilder können bis zum 30. September 2019 an prenzlauerberginale@gmail.com gesandt werden. Eine Jury, u.a. mit dem Ostkreuz-Fotografen Harald Hauswald, stellt anschließend eine Auswahl zusammen.
Mehr zur Prenzlauerberginale 2019: www.prenzlauerberginale.berlin
Mehr zur Ausstellung „Nach dem Mauerfall“: www.hdg.de
-al-, März 2019