Unbekannte Ecken (11)
Das gesamte Bahngelände entlang der Nordbahn vom Ring bis einschließlich Wollankstraße (Kuriosum: der S-Bhf. Wollankstraße liegt zwar auf Ostberliner Gebiet, war aber während der Teilung nur von
Westberlin aus zugänglich) gehört bis etwa Höhe Esplanade/Dolomitenstraße zum Prenzlauer Berg.
Im Grenzgebiet lag die Norweger Straße. Noch bis etwa 1982 gab es weder zwischen den Gleisanlagen, noch am Rand zum Wedding, diese Betonmauer, sondern nur ca. zehn Meter hohen Maschendrahtzaun,
sodass man bis zu diesem Zeitpunkt zwischen den Stationen Schönhauser Allee und Pankow die parallel fahrende West-S-Bahn als Ostberliner sehen konnte. Die S-Bahn-Züge, deren Türen sonst bei der
Fahrt nicht verriegelt waren, konnten dies beim Durchfahren des Grenzgebiets indes tun. Auch waren die Notbremsen während dieser Durchfahrt ausgeschaltet. Das schon 1952 angelegte Gleis, heute
ein Fernbahngleis, das den Halt an der Bornholmer Straße zwischen Pankow und Schönhauser Allee umging, war erst am 10. Dezember 1961 S-Bahn-elektrifiziert. Der Streckenabschnitt heißt seit dem im
Volksmund „Ulbricht-Kurve“.
Die Norweger Straße, direkt an der Bahn gelegen, war in jener Zeit der Kolonnenweg der DDR-Grenztruppen. Ich fragte einen Kumpel, wie es sich dort so nah an der Grenze lebte:
„... Wer da wohnte, musste über die Isländische, Ueckermünder oder Finnländische Straße über den Hinterhof in sein Haus. Die Luken zu den Dachböden waren verriegelt, die Böden durften nicht
betreten werden. Die erste Mauer verlief ja in diesen drei Straßen direkt über die Straße von Haus zu Haus, die Norweger Straße war praktisch der Grenzerpfad, wo die Soldaten mit ihren Autos zur
Wachablösung oder Patrouille fuhren. Auf der Straßenseite zur S-Bahn hin stand dann die nächste Mauer, dann kamen die Gleise der Ost-S-Bahn. … Im Falle eines Grenzalarms konnte es einem
passieren, dass die Grenzer sogar schon vor der ersten Mauer standen. Man schloss abends ahnungslos die Haustür auf, knipste das Licht im Flur an und da stand vor einem ein Grenzer mit der
Kalaschnikow. Das Schild ´Grenzgebiet´ stand interessanterweise erst direkt hinter der Haustür … Soweit mal eine kurze Schilderung.“
Die Norweger Straße ist heute Teil des Berliner Mauerweges. Richtig als Straße ausgebaut ist sie nur zwischen Behm- und Bösebrücke (nach „Wilhelm Böse“, NS-Widerstandskämpfer) kaum
einhundertfünfzig Meter lang und ansonsten vollkommen unspektakulär. Der Abschnitt bis zur Dolomitenstraße ist der sanierte Kolonnenweg der DDR-Grenzer, gesäumt von japanischen Kirschbäumen, die
eine Spende japanischer Bürger anlässlich des ersten Jahrestages des Mauerfalls, im Jahre 1990 sind.
Rolf Gänsrich (Sep 2014)