Unbekannte Ecken in Prenzlauer Berg (3)
Wer noch vor fünfundzwanzig Jahren mit der Ringbahn entlang Landsberger Allee und Storkower Straße fuhr, bekam regelmäßig herzhaft stinkenden Stallgeruch in die Nase und hörte das aufgeregte
Quieken erschreckter Schweine.
Ursprünglich sollte ab 1867 ein Gelände entlang der Weddinger Voltastraße zum großen, zentralen Vieh- und Schlachthof Berlins werden. Das Areal wurde allerdings nicht als als Zweck entsprechend
erachtet und ab 1881 siedelte sich deshalb dort u.a. die AEG an.
Am 28. Oktober 1876 erwarb deshalb Berlin einen Teil (38,62 ha) der Lichtenberger Feldmark, um darauf den Central-Vieh- und Schlachthof zu errichten. Auf der Basis Virchowscher
Hygienevorstellungen begannen 1877 die Bauarbeiten. 1878 wurde das Gelände von Berlin eingemeindet, da sonst das Schlachtzwanggesetz nicht hätte angewandt werden können. Die Eröffnung fand
am 1. März 1881 statt. Von 1937 bis Juli 1940 entstand quer über den Viehhof eine 420 Meter lange, vier Meter breite und sechs Meter hohe Fußgängerbrücke aus genietetem Stahl, die an der
Eldenaer Straße in einen aus Backsteinen gebauten Treppenturm mündete. Die Brücke wurde errichtet, um den Zugang zur Ringbahn zu ermöglichen, ohne dass man aus hygienischen Gründen, direkt das
Schlachhof-Gelände zu betreten brauchte. Letztes Überbleibsel ist am ehemalige Ausgang in der Eldenaer Straße das „Eisbeineck“, in dem schon zur Kaiserzeit die Schlachter zechten.
Von 1976 bis 1977 wurde die Fußgängerbrücke vom S-Bahnhof zur Storkower Straße um 85 m auf 505 m verlängert und der einstige S-Bf. „Zentralviehhof“ umbenannt.
Direkt über dem Schlachthof hatte die Brücke nur Milchglasscheiben, um den Reisenden das blutige Drama unter sich optisch zu ersparen. Das Quieken der Schweine in Todesangst hörte man trotzdem.
Als Fußgänger hatte man immer ein leicht mulmiges Gefühl im Bauch, … der Weg zog sich und gerade abends in halbdunkler Beleuchtung schallten oft ferne Schritte unheimlich ans eigene Ohr.
Der Schlachthof wurde 1991 geschlossen. Ab 1995 gab es Planungen für ein neues Stadtquartier. Die dort heute noch existierenden alten Gebäude stehen durchweg unter Denkmalschutz. Im Jahr 2003
wurde ein groß Teil der Brücke abgerissen. Eine kleine, neue Straße erinnert heute an die im Volksmund so genannte Fußgängerbrücke „Zum Langen Jammer“.
✒ Rolf Gänsrich (Jan 2014)