In dieser Folge gehen wir zuerst an die Ecke Mollstraße / Otto-Braun-Straße. Dort wo heute ein Hoteltower hoch emporragt, das IBIS-Hotel, war einst ein von der Architektur her ähnliches Hochhaus bereits in den 60er-Jahren entstanden.
Unten, kurz vor der Ecke, gab es eine „Moccabar“, deren Buchstaben im schmiedeeisernen Schild schon wie leckere Kaffeebohnen aussahen. Wenn man aus Hohenschönhausen, Lichtenberg oder Marzahn mit der Straßenbahn in die Innenstadt fuhr, um zum Alexanderplatz zu gelangen, musste man an der Moccabar aussteigen. Das tat man übrigens auch, wenn man aus Richtung Greifswalder Straße kam, nur sah man von da das Schild nicht. Die restlichen etwa sechshundert Meter zum Alex lief man am Haus der Statistik vorbei.
Dort, wo heute die östliche Abfahrt in den Autotunnel ist und dem gegenüber, wo seit einigen Jahren die Tram in die Wadzeckstraße einbiegt, stand einst die Georgenkirche. Der von 1898 bis 1949 zu seiner Sprengung bestehende Kirchturm der Georgenkirche war mit 105 Meter Höhe nach der alten Kuppel des Berliner Doms (114 Meter) die größte Höhendominante im historischen Berlin.
Am 8. März 1968 war an dieser Stelle Baubeginn für das „Haus der Statistik“. 1970 wurde es fertig. Der Gebäudekomplex zieht sich von der Mollstraße bis zur Karl-Marx-Allee. In der unteren Etage gab es Geschäfte wie zum Beispiel die „Suhler Jagdhütte“ (wo man u. a. Luftdruckwaffen kaufen konnte und alles, was man zur Jagd brauchte), sowie Restaurants und Cafés. Darüber und dahinter war die „Zentralverwaltung für Statistik“.
In der Planwirtschaft der DDR wurde für jedes Produkt, vom Nagel über die Kartoffel bis hin zur Luftmatratze, dem Babyschnuller oder der in Restaurants ausgetrunkenen Tasse Kaffee der gesamte Verbrauch, aber auch die Produktion für die Alltäglichkeiten, die die 17 Millionen DDR-Bürger brauchten, Buch geführt und daraus die Produktionsvorgaben und -Pläne für alle Betriebe in der DDR für immer das nächste Jahr berechnet, einschließlich des Imports & Exports, aber auch einschließlich des in die DDR gelangten Kaffees mittels der Westpäckchen.
Dies erforderte eine enorme Rechenleistung, … die heute vermutlich schon jedes Smartphone hat … damals aber ganze Hallen füllten.
Und natürlich interessierte sich auch die Staatssicherheit für diese Zahlen. Deshalb saß die Stasi ganz oben mit im Gebäude!
Nach der deutschen Wiedervereinigung beherbergte das Haus die Berliner Außenstelle des Statistischen Bundesamtes und den Berliner Dienstsitz der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Beide Behörden zogen bis 2008 aus. Das Bezirksamt Mitte, die Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte, die Senatsbauverwaltung, die landeseigene Immobilienmanagement-Gesellschaft (BIM) und die Stadtentwicklungsgenossenschaft Zukunft Berlin schlossen sich 2017 zu einem Projekt zusammen, um nach dem Kauf der Immobilie (für einen Kaufpreis von 50 Millionen Euro vom Bund) durch Sanierung und Umbaumaßnahmen die großen Häuser einer neuen Nutzung zuzuführen.
Rolf Gänsrich, Mai 2019