Liebe Leser, weil unsere Folge über Kinos im Rahmen dieser Reihe vor zwei Monaten solchen Anklang gefunden hat, hier nun ein zweiter Teil dazu.
Von Film-“Kunst“ konnte in den Anfangsjahren dieses Mediums kaum die Rede sein, viel eher von Film-Experimenten, stand doch damals heut typisches Handwerkswissen noch gar nicht zur Verfügung und musste erst mühsam durch Versuch und Irrtum erlernt werden. Außerdem war die Technik noch nicht so weit entwickelt und die Filme bei Weitem nicht so lichtempfindlich. Der Film wurde per Handkurbel bei der Belichtung durch den Apparat transportiert, daher spricht man ja bis heute von Film-“Dreh“ und so kam es halt, dass es je nach der Verfassung oder Stimmung des Kameramanns mal 18, mal 19, mal 22 Bilder waren, die dann pro Sekunde gemacht wurden. Und da die ersten Kameras auch gleichzeitig als Abspielgeräte dienten, war das dann bei der Projektion des Films das gleiche, dass je nachdem, wer da kurbelte und wie der gerade drauf war, der gesamte Film eben mal sieben, mal acht, mal neun Minuten lang war, dann musste eh die Filmrolle gewechselt werden.
Wie gesagt war das Handwerkswissen noch nicht so weit. Meistens wurde auf einer Theaterähnlichen Bühne gedreht, in einem Atelier bei Sonne, denn die Scheinwerfertechnik steckte noch in den Kinderschuhen. Und es wurde halt meist, wie man es vom Theater her kannte, in „Totale“ alles, was sich auf der Bühne gerade abspielte, gedreht. Einzelne Nah- und Detailaufnahmen wurden erst mit der Zeit hineingeschnitten. Das Zwischending dazu, die Halbtotale oder „Amerikanische“, kam erst mit der Enge der amerikanischen Fernsehstudios in den Film. Dass man beim Umschnitt, zum Beispiel wenn man in Nahaufnahmen sich zwei Personen unterhalten lässt, „Sichtachsen“ beachten muss, um den Zuschauer räumlich im Film mitzunehmen, musste man auch erst lernen, denn auf der Theaterbühne spielte man ja alles zum Publikum hin. Beim Film hat man dagegen schon die Freiheit, auch mal hinter einen Akteur zu gehen, das Publikum muss aber dennoch, wie im Theater, „angespielt“ werden. Deshalb sind diese Sichtachsen so wichtig. Und der Zoom, zum verdichten oder auflösen einer Situation, war mit den Kameras der Anfangsjahre auch höchst schwierig, genauso wie Kameraschwenks.
Kamerafahrten
Wer geniale Kamerafahrten erleben will, kann sich die Anfangssequenz von „The Player“ von 1992 ansehen, das sind etwa sechs Minuten ohne Schnitt oder „Viel Lärm um nichts“ von 1993, darin gibt’s dreimal je gut zwei Minuten oder „Viktoria“ von 2015, der überhaupt nicht geschnitten ist.
Mit Ton experimentierte man. Eine der Ideen war, die Tonspur auf Schellackplatte aufzunehmen. Das waren die Zeiten, als Filmkameras bereits durch dieselben aufziehbaren Federwerke, die einen gleichmäßigeren Fluss bedingten, ausgestattet waren, wie die Grammophone. Um den Tonarm etwas genauer aufsetzen zu können, liefen diese Schallplatten von innen nach außen (wie die heutige CD, normale Vinyl-Platten für den Musikliebhaber lassen aber den Tonarm von außen nach innen laufen). Aber auch Federn erlahmten und so lief der Ton nie Lippensynchron und es blieb bei Experimenten. Stattdessen wurde Musik für viele Stummfilme extra komponiert. Charles „Charlie“ Chaplin machte das zum Beispiel für seinen Film „Goldrausch“ von 1925. Je nach Größe des Kinos wurden diese Filme dann entweder nur von einem Klavier oder bis hin zu einem ganzen Orchester begleitet.
Im legendären Saal 1 des Kino Colosseum findet man noch den winzigen Rest einer Bühne. Ein sehr alter, mittlerweile berenteter Filmvorführer erzählte mir vor einigen Jahren, dass man dort im Keller noch immer die Reste des einstigen Orchestergrabens erahnen kann. Auch im Filmtheater Am Friedrichshain findet man noch diese Reste der Bühne und ahnt den Platz für das Orchester. In der Schaubude, dem ehemaligen Kino Atlas, ist hingegen nichts mehr von Kino zu spüren, dafür ist hingegen die Bühne noch da.
Lichttonverfahren
Das Lichttonverfahren wurde zwar bereits 1905 durch Hans Vogt vorgestellt, der erste Film mit dieser Technik war der am 17. September 1922 in den Berliner Alhambra-Lichtspielen aufgeführte Film „Der Brandstifter“ des Produzenten Erwin Baron.
Ab den 30er-Jahren wurde bereits mit Magnetton experimentiert, aber erst ab 1948 setzten die vermögenden Studios in Hollywood, das Magnet-Film und -Tonverfahren (das später „Video“ genannt wurde) ein. Dolby-Stereo gibt’s seit 1976. Erster Film mit diesem Tonverfahren war der Musikfilm „Tommy“ von „The Who“.
Um Filme auch in andere Länder exportieren zu können, das Lippensynchronverfahren kannte man in den ersten Jahren noch nicht, wurden die Filme nicht selten mit den Originaldarstellern gleich ganz fremdsprachig gedreht. Gutes Beispiel dafür ist „Der blaue Engel“ von 1930 der einmal in deutscher und einmal in englischer Fassung gedreht wurde.
Erst ab nach dem Krieg wurde synchronisiert. Dabei waren in den ersten Jahren meist die Spuren von Geräuschen, Musik und Sprache nicht voneinander getrennt, sodass man dies alles bei der Synchronisation wieder komplett neu aufnehmen musste. Da man dabei nie das gesamte Spektrum aller Originalgeräusche nachstellte, sind diese Filme akustisch oft recht „trocken“. Beispiele dafür sind die Fernsehserien „Abenteuer im Wilden Westen“ (ARD ab 1962), „Sir Francis Drake“ (ARD 1967) oder der Spielfilm „Wasser für Arizona“ (1939).
In zwei Monaten, also im Februar, möchte ich Ihnen gerne die Straßenbahnlinie M13 vorstellen, an Hand derer man eigentlich exemplarisch die komplette Straßenbahngeschichte Berlins von vor dem Krieg bis heute nachvollziehen kann.
Rolf Gänsrich, Dezmber 2017