Ein wenig Wehmut beschleicht mich schon, wenn ich an der Ecke Danziger Straße/Greifswalder Straße vom Winsviertel hinüber zum Bötzowkiez schaue: Da gibt es doch tatsächlich noch eine echte Berliner Eckkneipe: Gaststätte Willy Bresch - Berliner Bierlokal!
Die Nachbarschaft weiß stets mehr als man selbst; besonders ausgeprägt ist die „Zwerg-Allwissend-Haltung“ in der Nähe jeder Theke: Fragen des Mietrechts, Phänomene rund ums Fernsehen, Hartz IV-Kalamitäten – welcher Fragen- oder Problemkreis auch immer – Dein Nebenmann, seltener auch -frau, weiß über alles Bescheid!
Nirgends wird so viel Halbwissen, schlicht dummes Zeug oder gar widerwärtige Gerüchte verbreitet wie am Tresen. Ein aktuelles Beispiel: „So' n Scheiß – jetzt macht auch der „Bresch“ dicht; sicher will der Vermieter wieder mehr Geld haben. Dann gibt es gar keine richtige Kneipe hier in der Gegend ...“ Diese taufrische Information, nebenbei erzählt in einer Winskiezgaststätte – irritiert mich – ich mag die „Bresch-Kneipe“ wegen der offenen Atmosphäre, der bunten Mischung aus Stammkunden und Gelegenheitsgästen, seinem breiten Getränkeangebot und der betont freundlichen Bedienung.
Ich kann und will nicht glauben, dass dieser Eckstein nun auch geschleift werden soll. In meiner Ungläubigkeit greife ich zum Telefon und erreiche André Voigt und erfahre, dass sein Großvater 1966 das Gasthaus eröffnet hat. Voigt selbst hat die Geschäftsführung vor mehr als 10 Jahren von seinen Eltern übernommen und lacht, als ich ihn mit dem Schließungsgerücht konfrontiere: „Was ein Quatsch! Mein Rentenalter erreiche ich in 15 Jahren - so lange halte ich die Stellung!“
Ob die Danziger Straße zwischen der Greifswalder Straße und der Prenzlauer Allee – 1822 als Feldweg unter dem Namen „Communication“ entstanden – als Teil des Berliner Innenstadtringes eines Tages auch zur A 100 wird, steht aktuell in den Sternen (jedenfalls (noch) nicht in einem Koalitionsprogramm ...), war aber bereits in den 1950er Jahren so „eingeplant“.
1950 wurde sie für die Dauer von 45 Jahren nach dem bulgarischen KP-Politiker Georgi Dimitroff (1882 - 1949) benannt, der während der Nazidiktatur 1933 zu den Hauptangeklagten im „Reichstagsbrandprozess“ gehörte; schließlich mangels Beweisen freigesprochen wurde.
Die Danziger Straße bleibt bis zur Prenzlauer Allee fast kneipenfrei – die Ausnahme bildet die kleine Schenke „Na' Omi“, ein kleiner, preiswerter Nachbarschaftstreffpunkt tatsächlich von einer jungen (!) Oma im Interesse ihrer Enkelin und deren Tochter betrieben.
Nicht weit davon in Richtung Winsstraße taucht „Rodi–Rodi“ auf: Eine Spätverkaufsstelle mit angeschlossener Gastwirtschaft (oder umgekehrt), die vor Jahren noch „Zum alten Gaswerk“, später „Sportlerklause“ hieß.
Diese Namen beziehen sich auf die ab 1874 errichtete „IV. Gasanstalt“ (zu DDR-Zeiten: Gaswerk Dimitroffstraße) und ihre Sportanlagen. Das Gaswerk wurde zu Beginn der 1980er Jahre stillgelegt und die Anlage bis auf wenige denkmalgeschützte Bauwerke unter Protestaktionen gesprengt. Auf dem Gelände wurden anlässlich der 750-Jahrfeier 1987 Wohnungen, kulturelle Einrichtungen und der Ernst-Thälmann-Park errichtet.
Sie werden es nicht glauben: Zwerg Allwissend ist an jeder Theke zu finden! Achten Sie mal bei Ihrem nächsten Gaststättenbesuch darauf!
✒ Christian Robbe (Nov 2011)