WINSKIEZ
In Prenzlauer Berg gibt es elf genossenschaftliche Häuser der SelbstBau e.G. Mieter sind hier gleich Eigentümer und bestimmen die Geschicke ihrer Häuser selbst. Eines dieser Häuser steht in der Winsstraße 60. Eigenverwaltet.
Das Haus in der Winsstraße 60 tanzt schon rein äußerlich aus der Reihe. Die Fassade im freundlichen Rot gehalten, das an mediterranes Terrakotta erinnert; die Fenster mit hellem Stuck umrahmt, der sie weiß aus der Fassade hervorstrahlen lässt. Viel Holz an Türen und Glasfronten im Erdgeschoss und grünes Klettergewächs. „W60“ – seit Anfang des Jahrtausends steht dieses Haus als Beispiel für selbstverwaltetes, selbstbestimmtes Wohnen. In den 26 Wohnungen und den sechs Ladengeschäften leben und arbeiten Menschen, denen das Haus gemeinsam gehört. Sie haben es selbst saniert, die schöne, lebensfrohe Fassade geschaffen und einen genossenschaftlichen Lebens- und Arbeitsort. Das Haus ist eines von 23 Berliner Häusern der SelbstBau Genossenschaft, eines von elf selbstverwalteten Häusern dieser Genossenschaft in Prenzlauer Berg.
„Unser Haus ist ein Haus des Zuwachses. Rund ein Drittel unserer Hausbewohner sind Kinder im Alter von ganz frisch bis zu 16 Jahren.“, so beschreibt Bewohner Sascha Schneider die ersten Lebensjahre der Genossenschaftler in ihrem Haus. Das war 2003, als das Haus nach dreijähriger Bauzeit fast fertig war. „In den 105 Jahren seiner Existenz hat unser Haus sicher schon viele Kinder gesehen – aber sicher nicht so viele auf einer Dachterrasse.“ Die gemeinschaftliche Dachterrasse, von der aus der Blick den Fernsehturm am Alexanderplatz greifbar nah erscheinen lässt, ist ebenso ein Markenzeichen des Wins 60 wie der gemeinsame grüne Innenhof.
Im Jahr 2018, 15 Jahre nach Fertigstellung, scheinen weder Dachterrasse noch grüner Innenhof etwas besonderes im komplett sanierten Wins-Viertel zu sein. Das Besondere bleiben die Gemeinsamkeit und das Engagement, mit dem die Wins-60-Eigentümer sich ihr eigenes Heim schufen. Aufnahmen aus der Zeit vor der Sanierung zeigen die typische Fassaden-Tristesse der DDR. Grauer, bröckelnder Putz, von den gründerzeitlichen Stuck-Strukturen nichts mehr zu erkennen. Keine Balkone, von einer Dachterrasse ganz zu schweigen. Der schon äußerlich sichtbare Verfall des Hauses setzte sich im Inneren fort. Sascha Schneider: „Das Ausmaß des Schwammbefalls und die damit verbundenen Arbeiten zehrten an Nerven und Muskeln beim Aufnehmen der Dielen, Abtragen der Schüttung und Schleppen der Eimer. Ich konnte im vorletzten Sommer von unserer Wohnung, ich wohne im Dachgeschoss, in unseren Keller schauen. Bis auf ein paar Balken fehlte dazwischen alles!“
Kaum vorstellbar für die, die das individuelle Haus heute sehen. Im Erdgeschoss, hinter den hölzern gerahmten Fensterfronten, siedelt Gesundheit. Die Praxis W 60 vereint Yoga-Lehrende, HeilpraktikerInnen, KörpertherapeutInnen und weitere ganzheitliche Gesundheitsangebote. Auch das scheint typisch für das Selbstbau-Haus.
Noch einmal Sascha Schneiders Rückblick auf den Beginn dieses Selbstbaus: „Die Schwammsanierung kostete viel Anstrengungen, hatte aber auch einen archäologischen Nebeneffekt. Wir fanden viele Zeitungsreste, am häufigsten den „Vorwärts“ von der SPD, kaputte Bierflaschen und viel, viel einfachen Hausschwamm.“
Von derlei Totalbefall blieben die Bewohner des Hauses in der Immanuelkirchstraße 20 verschont. Das Haus ist das zweite selbstverwaltete Haus der SelbstBau e.G. im Winskiez. Schon 1999 traten die rund 40 Bewohner der Genossenschaft bei und schufen in zweijähriger Bauzeit 27 Wohnungen und zwei Gewerberäume. Die jüngste Errungenschaft der SelbstBau e.G. liegt nur ein paar Hundert Meter Luftlinie von der Immanuelkirchstraße und Winsstraße entfernt im Kollwitz-Kiez. In der Sredzki-Straße 44 prangt zugleich ein Modellprojekt für generationenübergreifendes, altersgerechtes Wohnen. Insgesamt elf Wohnungen, eine Gewerbeeinheit und ein Informations- und Ausstellungszentrum mit einer Musterwohnung wurden dort 2017 eröffnet.
al, April 2018