Der Herbst kommt mit Macht. Am schönsten ist er in der Knaackstraße zwischen Kollwitzstraße und Wasserturm wenn sich die Blätter der Ginkgo-Bäume in sonnigem Straßenbahngelb färben. Man
merkt den Herbst aber auch an den Baustellen. Im August zählten wir beim Ausfahren der Zeitung über 250 Fahrbahnverengungen, Sackgassen, gesperrte Straßen, ausgebuddelte Gräben, eingerüstete
Häuser mit dem entsprechenden gesperrten Parkraum usw. usf. in etwa zweiundfünfzig Straßen im Prenzlauer Berg. Gut, die Baustellen sind Ende September nicht weniger geworden, aber man merkt,
dass jede einzelne von ihnen nicht mehr ganz so viel Raum einnimmt, dafür aber in so eine Art Winterschlaf verfällt.
Ich bin verabredet in einer Autowerkstatt auf dem Gewerbehof in der Straßburger Straße. Der Besitzer einer der letzten freien,„Typenoffenen“ Werkstätten erzählt, was mit dem Gelände dort
zwischen Königstadtbrauerei und Backfabrik geschehen soll.
Vermutlich gehörte das Areal mal mit zu den Brauereien der Umgebung. Im unter den heutigen Fundamenten vermutet man deshalb noch Reste von Brunnen.
Der letzte mir verbliebene Aschenbecher in meinem Nichtmehr-Raucher-Haushalt, ein Erbstück meines Großvaters, macht Werbung für eine Firma „Chistoph & Peetsch, Berlin NO 55, Saarbrücker
Str. 22 – 24“. Das muss dort mit auf dem Gelände gewesen sein, bevor man die im Volksmund titulierte „Fahrbereitschaft des ZK“ (ZK = Zentralkomitee der SED) in den späten 60er, frühen 70er
Jahren baute.
Offiziell war auf dem Gelände der „Magistratsfuhrpark“, klärt man mich auf. Aber der wurde durch das Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ kontrolliert. Dieses Wachregiment wurde nur eingesetzt, um
direkte Staats- und Parteieinrichtungen in der DDR zu schützen. Es handelte sich bei diesem Regiment um eine Spezialeineinheit.
Es gibt Gerüchte, die behaupten, so erzählt man mir, dass es mal einen unterirdischen Tunnel zum Eckgebäude Prenzlauer Allee / Torstraße gegeben haben soll.
Als die Autowerkstatt vor zwanzig Jahren auf das Gelände zog, gab es noch ehemalige Heizer und frühere Busfahrer, die sich zu dieser Zeit bereits als Autoverkäufer und Versicherungsmakler
betätigt haben sollen und mit denen kam man ins Gespräch und die erzählten so einiges an wilden Gerüchten, wird mir berichtet.
Wie alle anderen Mieter, muss auch diese Werkstatt ihren Standort hier in der Straßburger Straße bis zum Jahresende räumen. Ein Investor hat das gesamte Areal ersteigert. Für einige Verwirrung
unter den Altmietern auf dem Gelände sorgte es, dass noch im März neue Gewerbe-Mieter einzogen, die investierten. Schon im Juni kamen die Kündigungen, die eine „Unterwerfungserklärung“ (keine
nachträglichen Ansprüche nach der Kündigung) beinhalteten. Vor allem Künstler nutzten in den letzten Monaten die Gebäude als Lager- und Ausstellungsfläche. Das gesamte Areal war einst voll
vermietet.
Noch immer gibt es dort u.a. einen Schützenverein, 'ne Lederrestauration, eine Fahrradwerkstatt, zwei Kfz-Werkstätten und eine kleine Spedition. Ein Autoverleih für die Filmwirtschaft hat es mal
gegeben, genauso wie eine Autolackiererei. Die ehemalige Waschanlage für die ZK-Fahrzeuge war noch bis vor wenigen Jahren als „freie Autowäsche“ in Betrieb. Immer mehr Umweltschutzauflagen
führten schließlich zu ihrem Ende.
Auch den Bildungsträger BTB gibt es an diesem Standort noch. Sie sitzen im Vorderhaus direkt am Eingang. Ich musste bei BTB im Jahre 2005 eine „Jobcenter-Maßnahme“ (Bewerbungstraining) über mich
ergehen lassen Entsinne mich da noch voller Grausen an niedrige, ungelüftete, überheizte Räume mit bis zu fünfzig Teilnehmern, die nachhaltig nach kaltem, abgestandenem Zigarettenrauch
stanken …
Auf ein Problem machte mich der Inhaber der Autowerkstatt noch aufmerksam: die Parkplatznot, die es trotz der „Parkraumbewirtschaftung“ gibt. Wird die ehemalige Fahrbereitschaft bebaut, fallen
die letzten Ausweichmöglichkeiten in der Gegend weg. Die vorhandenen Parkflächen sind jetzt schon zu ca. 110 % ausgelastet. Heißt, viele stellen ihre Wagen in ihrer Verzweiflung dort ab, wo
man eigentlich überhaupt nicht parken darf.
„Heißt es denn nur noch > schöner wohnen < im Prenzlauer Berg?“, fragte mich der Chef verzweifelt.
Das fragte mich letztens übrigens auch ein Teilnehmer auf einer meiner Führungen, der wissen wollte, wo es noch Live-Musik in Prenzlauer Berg gibt.
Ob sich der neue Besitzer, die WGF, mit ihrem hier angesiedelten Projekt „Berlin-Lavie“ (www.berlin-lavie.de) an seine Versprechen hält, die er abgegeben hat, um das Areal zu erwerben, bleibt
abzuwarten. Ältere Anwohner fürchten, dass es sich nur um eine reine Grundstückspekulation mit einem Filet-Stück in der Berliner Innenstadt handelt.
Es sollen ca. 350 (auch Miet-) Wohnungen gebaut werden und das Gelände soll öffentlich von allen Seiten zugänglich sein, im Gegensatz zum Beispiel zu den Townhouses, die es seit ein paar
Jahren Am Friedrichshain gibt und die sich, wie ich an dieser Stelle schon mal berichtete, mit hohen Mauern und Stahltoren abschottet.
Ob dann die auf dem Gelände der ehemaligen Fahrbereitschaft noch erhaltene prähistorische, eiszeitliche Geröllhalde als Naturdenkmal der Allgemeinheit zugänglich gemacht wird, wird sich dann
noch zeigen.
Ich werde jedenfalls das gesamte Areal in meine Kiezspaziergänge durch den Kollwitzkiez im Oktober und November diesen Jahres mit einbeziehen, damit auch Sie noch einen letzten Blick auf das
historische Bauensemble werfen können.
Über „neues Leben auf alten Friedhöfen“ berichte ich hier in der nächsten Ausgabe.
✒ Rolf Gänsrich (Okt 2012)