Ich bin mit meinem Fahrrad unterwegs, um vor Ort direkt nachzuschauen, was mir im Viertel auffällt. Templiner Ecke Schwedter mag ich schon immer. Die einstige Tankstelle steht noch, daneben der ehemalige Pferdestall im Fachwerkstil. Da kommt Urlaubsgefühl auf. Sehe kleine Fachwerkgassen in Mecklenburg vor meinem inneren Auge. Ein alter, roter Feuerwehrwagen steht mit auf dem Gelände der einstigen Tanke und junge Leute basteln an ihm.
Weiter mit dem Rad um die Ecke und quer über den Teutoburger Platz. Wenn besseres Wetter ist, wimmelt es vor Gören. Die Gebäude, ehemalige Trafohäuschen auf der Nordseite, sind denkmalgeschützt.
Ich quere die Christinenstraße und denke an meine einstige Kollegin Antje, die mit ihrem Sohn in der Christinenstraße wohnte und die immer an den Tagen von meiner Kaiser's Marktleiterin gemobbt wurde, wenn ich meinen freien Tag hatte. Sonst war ich ja ständig fällig. „Herr Gänsrich, im Vorraum ist ein Ketchupglas herunter gefallen. Waren sie das?“ Seit ich bei Kaiser's Anno 1998 raus bin, kaufe ich in der Kette nichts mehr. Aber sie tolerieren unsere Zeitung und am Teutoburger Platz lege ich sie sogar selber ab. DANKE!
Nun werde ich kriminell und zum Fahrradschieber. Ab der Einfahrt zum Pfefferberg steig ich ab. Das Gelände ist mitten in der Sanierung. Die Mauer der einstigen Brauerei zur Christinenstraße hin ist abgerissen. Dahinter Bagger, die sich durch matschigen Lehm wühlen. Das Areal ist riesig. Hostel, Firmen, Galerien, Café's, großer Parkplatz. Alles Denkmal gerecht saniert. Aber man kommt nicht nach vorn zum Biergarten durch, ohne ein Gebäude zu durchqueren, … wegen der Bauarbeiten. Wieder rauf auf's Rad, einmal über Christinen-, Schwedter Straße und Schönhauser Allee um die Ecke und das Gefährt vor dem Pfefferberg-Eingang Schönhauser Allee „parken“.
Der herrliche Brunnen im Aufgang zum Pfefferberg sprudelt wieder. Das Wasser plätschert aus bronzenen Adlerschnäbeln im kaiserlich-wilhelminischen Stil in eine Betonschale. Sehr dekorativ und endlich nach Jahren wieder funktionstüchtig. Oben auf dem Platz sind die Ausflugslokale geöffnet. Gartenstühle stehen bereit. Alles ist sauber, ordentlich und saniert. Auf der linken Seite, von der Schönhauser aus gesehen, ist man noch fleißig bei. Große Sperrholzwände versperren den Blick, aber dass da was gemacht wird, ist unüberhörbar.
Wieder herunter und mal weiter schauen. In der Schönhauser Allee links neben dem Pfefferberg lockt eine Sauna. Ich schaue mal vorsichtig in die Hofeinfahrt und werde neugierig. Die Zufahrt hat grobes Kopfsteinpflaster. Erinnere mich dabei noch an einen Ausflug mit meinem Großvater, als ich noch ein Drei-Käse-hoch war und er was über „Katzenkopp-Pflaster“ bei solch einer Straße redete und ich dann ängstlich fragte: „Mussten denn dann für unsere Straße hier viele Katzen sterben …?“
In der Hofeinfahrt zu dieser Sauna hat man noch den morbiden Charme heruntergekommener Altbauten aus der letzten Phase des „real existierenden Sozialismus“. Hüfthohes Unkraut wuchert auf Brachen hinter dem Vorderhaus. Putz bröckelt in ganzen Fladen schichtweise von Turm hohen Fassaden. Letzte Pfützen mit silbrig glänzenden Ölfilmen finden sich in vom Regen ausgespülten Wasserrinnen zwischen den „Katzenköppen“. All das passt so gar nicht zu den auf Hochglanz polierten Fassaden der Vorderhäuser rund um den Senefelder Platz.
Pi-Radio ist auch so ein Relikt. Die sendeten Jahre lang vom Kirchturm der Segenskirche in der Schönhauser Allee. Ihr Studio haben sie in der Lottumstraße 10. Dies wiederum ist ein ehemals besetztes Haus.
Im Internet habe ich folgende kleine Ein- und Anleitung entdeckt:
„... Pi-Radio behauptet: Einen Radiosender zu bauen ist einfacher und ungefährlicher, als ein Mofa zu tunen. Ein kompletter Sender ist schon für einige hundert Mark zu realisieren.
Umso unverständlicher ist es, warum der Sendebetrieb künstlich so teuer gehalten wird. Der Rundfunksender muss von der TELEKOM gemietet werden (10.000 DM pro Monat) genau wie die Standleitungen vom Studio zum Sender (5.000 DM je Monat). Kein Wunder also, warum nur fette Medienkonzerne die Möglichkeit haben, Radio zu betreiben. ...
Wir weisen jedoch deutlich darauf hin, dass der Betrieb der vorgestellten Bastelarbeiten verboten ist, und wenn, dann nur in bleigepanzerten und abgeschirmten Laborräumen oder Atombunkern stattfinden darf. … Trotzdem sollten uns die hohen Bußgelder von bis zu 1 Mio DM deutlich von dem Betrieb eines Piratensenders … abhalten ….“
Man merkt an Hand der DM-Preise, dass diese Seite nicht mehr ganz so aktuell ist.
Pi-Radio ist ein nichtkommerzielles Freies Radio aus Berlin. Es ist in Berlin und Potsdam auf der UKW-Frequenz 88,4 MHz und 90,7 Mhz an derzeit zwei Werktagen empfangbar (diese Frequenzen teilen sich mehrere Freie Radios, so ist darauf nicht nur Pi-Radio sondern unter anderem auch „alex-offener kanal berlin“ zu hören) und im Internet per Livestream unter www.piradio.de
Pi-Radio begann in der „Wendezeit“ mit seinem Betrieb. Man wollte nach dem Vorbild von schon existenten „Freien Radios“ in der westlichen Hemisphäre einen unabhängigen Hörfunk, unabhängig vom Staat, mit der Erfahrung der zensierten Medien der DDR oder der Nazi-Zeit davor, unabhängig aber auch vom Diktat der Wirtschaft und der großen Medienkonzerne gründen. Teilweise sendete man illegal Stundenweise von Dachböden, immer der Verfolgung von Messwagen durch die Deutsche Telekom ausgesetzt.
Im Jahre 1995 wurde auf Initiative des Landesverbandes Freier Radios Berlin-Brandenburg der Verein Pi-Radio e.V. gegründet – ein Zusammenschluss verschiedener Freier Radio-Gruppen, kultureller Initiativen und interessierter Einzelpersonen. Pi-Radio sendete bis Ende 1995 einen wöchentlichen Vier-Stunden-Block auf dem Offenen Kanal Berlin, aber das System des öffentlich-rechtlich finanzierten OKB und des freien, mehr anarchistischen Pi-Radio bissen sich. Gesendet wird schon lange nicht mehr von der Segenskirche sondern auf der 88vier von einer Sendestelle am „Hallesches Tor“ in Kreuzberg, zum Teil sogar nur in Mono, nach Nordosten hin bewusst etwas abgeschwächt,
weil von Brandenburg aus auf einer nahen Frequenz ein anderer Sender in den Nordosten Berlins hinein strahlt ... Deshalb der Empfang der 88vier im Prenzlauer Berg … ähm … „gelegentlich“ etwas problematisch.
Noch ganz am Rande erwähnen möchte ich, dass das Guggenheim Lab nun garantiert in den Pfefferberg kommt. Die 1937 gegründete Solomon R. Guggenheim Foundation basiert auf der Privatsammlung von Solomon R. Guggenheim mit ihrem Fokus auf nicht-gegenständlicher Kunst. Heute umspannt sie ein weltweites Netzwerk von Museen und kulturellen Partnerschaften. Neben dem spektakulären Frank Lloyd Wright Gebäude in New York und der Peggy Guggenheim Collection in Venedig entstanden Ausstellungshäuser u. a. in Bilbao und Berlin. Sie kommen nun mit ihrem Lab (Labor) in den Prenzlauer Berg. Weshalb von linken Aktivisten so viel gegen diese Ausstellungen demonstriert wird, ist mir erst klar geworden, als ich weiter recherchierte, denn die Foundation wird durch die Deutsche Bank gefördert und das Lab durch BMW.
Am am 28. April 2012 wurden drei Stolpersteine für die jüdischen Geschwister Ruth und Thea Fuss und deren Vater Abraham Fuss vor der Fehrbelliner Straße 81 verlegt. Die Familie Fuss lebte dort und besaß an dieser Stelle eine eigene Schneiderei. Im ehemaligen jüdischen Kinderheim, dem heutigen Nachbarschaftshaus in der Fehrbelliner Straße 92, lebten Ruth und Thea, nachdem die Eltern nicht mehr für sie sorgen konnten. Vier SchülerInnen des John-Lennon-Gymnasiums in der Zehdenicker Straße haben zusammen mit Inge Franken und dem Nachbarschaftshaus dieses Stolpersteinprojekt organisiert.
✒ Rolf Gänsrich (Mai 2012)