Die GRÜNE STADT

Wohnen wie im Vorgarten

Zeitung Berlin Prenzlauer Berg
Hinterm Tor die lärmende Greifswalder Straße. Die Grüne Stadt ist ein kleinbürgerliches Idyll.

Sie ist ein ganz spezielles Quartier – die Grüne Stadt. Hier leben Alt und Jung zusammen in kleinen Blöcken um grüne Innenhöfe. Sozial durchmischt, von Beginn an. Auch nach einer ersten Sanierungswelle vor knapp zehn Jahren noch. Der Kiez verändert sich schleichend und ganz allmählich.

Klingt eher nach Freiburg: „Grüne Stadt“. Oder nach Schwerin. Also irgendwas weit weg, mitten im Grünen oder zumindest politisch grün. Nicht nach Prenzlauer Berg, schon gar nicht nach östlich der Greifswalder Straße, wo schmucklose Fassaden und Plattenbauten den Weg nach Friedrichshain weisen.
„Unsere 53 Quadratmeter große Ferienwohnung im Szeneviertel Prenzlauer Berg befindet sich in der 1939 errichteten Wohnanlage Grüne Stadt, in der sich gartenstädtische Elemente mit Großstadtarchitektur verbinden. Das Quartier ist sehr ruhig gelegen – trotzdem gelangen sie in wenigen Minuten ins Herz des Prenzlauer Berges – zu Kollwitzplatz, Wasserturm oder Helmholtzplatz.“ So wirbt ein Inserat und beschreibt zugleich die Spezifik der Grünen Stadt zwischen John-Schehr-Straße und Anton-Saefkow-Park, zwischen Greifswalder und Kniprode-Straße.
Private Ferienwohnungen in einer Wohngegend? Das ist, seit einigen Monaten, illegal. Mit einer Übergangszeit für bereits in Betrieb genommene Wohnungen.
Diejenigen Berlin-Besucher, die diese Ferienwohnung wochenweise zum Preis von knapp 500 Euro buchen, werden zunächst ein ganz spezifisches Bild von Prenzlauer Berg erhalten. Eines aus dem Vorgarten, gewissermaßen.
Viergeschossige, hufeisenförmige Blocks, schön weiß gestrichen und mit neuen kleinen Balkons, gruppieren sich um grüne Innenhöfe. Die Wiesen sind gesäumt von Bäumen und großzügigen Spielflächen. Vereinzelt stehen Wäschestangen in den Höfen.
Es ist eher eine Kleinstadt-Idylle denn die vielgerühmte Berliner Weltoffenheit, doch dafür, für den Schein von kleinbürgerlicher Behaglichkeit, ist die Grüne Stadt schließlich errichtet worden, damals. Als eine der wenigen Siedlungen der Nazi-Ära in Prenzlauer Berg trägt sie den Charakter der Gartenstadt-Bewegung früherer Jahrzehnte noch in sich: So viel wie möglich Wohnkomfort für so wenig wie möglich Geld, zahlbar für kleine Beamte und Angestellte und Eisenbahner mit ihren Familien. Werner Harting hat das Quartier 1938-39 errichten lassen, ein Architekt, der sich später eher um den Aufbau von Theatern und Opernhäusern sorgte.

Zeitung Berlin Prenzlauer Berg
Echtes Grün und falsches Grün im Pflanzkübel: Hier wohnen Menschen, die es sich für wenig Geld so schön wie möglich machen. Fotos (2): al

Damals waren die 1800 Wohnungen noch ohne Balkone, die wurden erst vor knapp zehn Jahren angebaut, als die Grüne Stadt modernisiert wurde und mit dem alten Putz einen Teil ihrer Bewohner verlor. Dass viele trotz höherer Mieten bleiben konnten, ist auch ein Ergebnis sozialverträglicher Reglementarien, die dem Bezirk damals noch zur Verfügung standen. Neue Bewohner, meist junge Familien, sind eingezogen. Mit ihnen begann auch das Umfeld sich zu verjüngen – im angrenzenden Anton-Saefkow-Park entstanden neue Spielplätze. Neue Ideen für wenig Geld trotzten der Verwahrlosung, der der Park jahrelang anheimgefallen war.
Das Quartier ist auch nach außen abgeschlossen. Der großstädtische Trubel ist ausgesperrt, hinter ein Tor auf die Greifswalder Straße, hinter andere Wohnblocks gen Süden auf die Danziger Straße. Dort sind auch Tram und S-Bahn. Hier geht’s schnell weg und auch schnell wieder hin.
Drinnen, im Quartier, in der John-Schehr-Straße, trifft sich im „Café 157“ die Nachbarschaft mit Leuten, die weiter weg wohnen. Die alkoholfreie Kontakt- und Begegnungsstätte ist Anlaufstelle für Selbsthilfegruppen ebenso wie Ort für Freizeit-Aktivitäten. Suchtkranke treffen sich hier, Senioren-Gruppen spielen Skat. Es gibt eine Fahrrad-Werkstatt und eine Galerie, in der Künstler ihre Fotos und Bilder zeigen können. Das „Cafe 157“ ist einer jener Orte, wo für wenig Geld und mit großem Engagement wertvolle Arbeit geleistet wird – sozio-kulturell im besten Wortsinne. Es gibt Zeitungen und Zeitschriften, Musik und Spiele und „alkoholfreie Getränke und Imbiss-Angebote ohne Verzehrzwang.“
Drüben, in den Wohnhöfen der Grünen Stadt, stehen die Mülltonnen in kleinen Holzhütten. Auf den Bänken warten Bewohner auf den Nachmittag. Kinder kommen aus der Schule und lassen ihre Fahrräder vor den Hauseingängen liegen.
„Das familienfreundliche Objekt Grüne Stadt befindet sich in einem der beliebtesten Bezirke Berlins: in Prenzlauer Berg. Nutzen Sie die einmalige Chance Eigentümer einer Wohnung im Herzen Berlins für weniger als 2000 Euro pro Quadratmeter zu werden. Zudem haben Sie die Möglichkeit, in den Genuss von garantierten Mieteinnahmen zu kommen - die Immobilie finanziert sich quasi von selbst.“, so wirbt ein Immobilienbüro für Kapitalanlagen in der Grünen Stadt. Eine nächste Veränderungswelle steht an: Viele der Wohnungen sollen wieder verkauft werden. Droht damit eine neue Verdrängung? Mit dieser Sorge wandten sich Bewohner an den Bezirk. Das zuständige Amt beruhigt: Große Modernisierungen braucht es nicht mehr, damit drohe auch keine Mieterhöhung. Vor Eigentumsklagen seien die meisten Bewohner geschützt. Für alle anderen gäbe es die Angebote der Mieterberatung.
In der Grünen Stadt blüht der Löwenzahn auf den Wiesen, die Geranien auf den Balkonen. „Kommst du jetzt endlich essen?“ ruft eine Mutter zu ihrem Kind herunter. Das mault und will nicht. Im Pflanzkübel neben ihm steckt eine künstliche Blume, die sich im Frühlingswind dreht.
-al- (Juni 2015)