Berlin hat in seiner Geschichte erst eine Regierende (amtierende) Bürgermeisterin vorzuweisen, aber dafür immer mal wieder eine Königin. Die inoffiziell Amtierende ist eine Frau mit Migrationshintergrund, stammt aus Ägypten und hört auf den in Berlin doch eher seltenen Namen Nofretete. Gehört die Schöne nun den Berlinern oder den Ägyptern? Michael Eissenhauer, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, betonte bereits 2009, dass bei den damaligen Ausgrabungen und der Fundteilung alles korrekt abgelaufen sei. In dieser Frage scheint mir aber noch sehr viel diplomatisches Geschick und einiges darüber hinaus erforderlich zu sein, auch wenn es aktuell keine Rückgabeforderungen aus Ägypten gibt.
Nofretete lebte vor etwa 3350 Jahren (1350 v. Chr.), war die Hauptfrau des ägyptischen Pharaos Echnaton, der die für damalige Verhältnisse revolutionäre Idee hatte, den Vielgötterglauben zu beenden und nur den einen „wahren” Gott in den Mittelpunkt des religiösen Lebens zu stellen: Aton, den Sonnengott. Dies war, lange vor dem Christentum, wahrscheinlich die erste monotheistische Religion in der Menschheitsgeschichte. Echnaton ließ damals eine neue Hauptstadt im Gebiet von Amarna/Ägypten bauen. Heute wird dort durch Archäologen gegraben – eine touristische Erschließung dieses Gebietes ist gegenwärtig nicht gegeben.
Wer aber sorgte maßgeblich dafür, dass die Schöne heute in Berlin zu bewundern ist? James Simon – Unternehmer, Kunstfreund, Mäzen.
Henri James Simon wurde am 17.9.1851 in Berlin geboren. Vater und Onkel von James waren durch Baumwollhandel reich geworden und gehörten bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges mit zu den bedeutendsten Baumwoll- bzw. Textilunternehmen Europas. James genoss eine großbürgerliche Erziehung und trat dann in die Firma des Vaters ein. Nach 1890 führte er das Geschäft mit seinem Onkel bzw. Cousin erfolgreich weiter. Aus dem florierenden Unternehmen und aus seinem Verständnis für die konkrete Situation in Berlin ergab sich die Grundlage für sein soziales und künstlerisches Engagement als Initiator, Organisator und Mäzen. Der Name James Simon ist für lange Zeit in Vergessenheit geraten, dabei müssten die Berliner dem Manne dankbar sein, hat er doch dafür gesorgt, dass in dieser Stadt die ersten Volksbadeanstalten, zwar noch ohne Schwimmbecken, aber mit Brausen, gebaut wurden. So die Erste in der Gartenstraße in Berlin-Mitte. Die sich heute am gleichen Standort befindliche Schwimmhalle ist allerdings ein Neubau von Carlo Jelkmann und Heinrich Tessenow aus dem Jahr 1930. Die erste Brause-Badeanstalt Berlins wurde bereits 1880 (andere Quellen nennen 1888) an eben dieser Stelle errichtet. Initiator war der Berliner Verein für Volksbäder (spätere Deutsche Gesellschaft für Volksbäder), in dessen Vorstand auch James Simon als Förderer mitwirkte. Für tausende hiesige Arbeiterfamilien, die in Wohnungen ohne Bad leben mussten, war dies eine bedeutende Verbesserung ihrer hygienischen Verhältnisse. Weitere Bäder u.a. in Prenzlauer Berg folgten. Die Stadt Berlin hatte Ende 19. Jahrhunderts selbst begonnen, erste Schwimmbäder mit Becken zu bauen, so dass 1904, sicher auch aus Kostengründen, die Übergabe der Vereins-Brausebäder an die Stadt erfolgte.
Mit noch längerfristiger Tragweite und Wirkung war James Simon auf dem Gebiet der Kunst tätig. Seit den 1890er Jahren wirkte er, mit Unterstützung von Wilhelm Bode, am Aufbau einer eigenen Kunstsammlung und machte 1904, 1908 und 1920 Schenkungen an die Stadt Berlin. Simon wurde einer der entscheidenden Finanziers für die Ausgrabungen der Deutschen Orient-Gesellschaft im heutigen Tell-el-Amarna/Ägypten, bei der durch Arbeiter um den Grabungsleiter Ludwig Borchardt auch die Büste der heute berühmtesten Frau Berlins gefunden wurde: Nofretete.
Simon, d.h. sein Baumwoll-Großhandelsunternehmen geriet mit Ausbruch des 1. Weltkrieges und der später folgenden Inflation in wirtschaftliche Schwierigkeiten und musste 1931 seine Zahlungsunfähigkeit erklären. Am 23.5.1932 starb James Simon und wurde auf dem Jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee begraben. Die Nazis unternahmen alles, um die Erinnerung an diesen Wohltäter Berlins zu zerstören.
Zurück zu Nofretete. Neben der einen, ungekrönten Königin, hat die Hauptstadt eine Reihe von Unterköniginnen vorzuweisen, die in Wirtschaft, Mode und Medien wirken. So viele Touristen wie die Schöne von der Museumsinsel werden sie aber mit Sicherheit nie in die Hauptstadt locken. Ich gebe zu: Für mein Schönheitsideal hat Nofretete einen etwas zu langen Hals. Aber ich soll sie ja nicht lieben, sondern nur bewundern, was ich als Berliner auch gerne mache. Noch höher in meiner Achtung steht allerdings ihr nicht ganz so berühmter Ehemann Echnaton und zwar abseits seiner politisch-religiösen Ambitionen: Der hatte – neben seiner gewiss nicht anspruchslosen Gattin – auch noch sechs Töchter zu Hause, die ihn auf Trab gehalten haben. Da kann man vor dem Vater Pharao wirklich nur den Hut ziehen!
Am 7. Dezember wird in den Staatlichen Museen zu Berlin die Sonderausstellung mit dem Titel „Im Licht von Amarna. 100 Jahre Fund der Nofretete“ eröffnet. Auch die NATIONAL GEOGRAPHIC, Ausgabe Dezember 2012, widmet sich in einem ausführlichen, detaillierten Beitrag der Schönen vom Nil. Aber: Während über Nofretete und ihre Zeit recht viel bekannt ist, wird das Bild über Henry James Simon, ihren „Finanzier“, noch zu vervollständigen sein. Wie auch immer: Bevor die Nofretetmania in den nächsten Tagen so richtig losbricht und sich Besucherschlangen vor der Ausstellung bilden, beende ich diesen Beitrag.
✒ Jürgen Pahl (Dez 2012)
Hier noch eine Buchempfehlung
über die Zeit des Echnaton: „Sinuhe der Ägypter“ des finnischen Autors Mika Waltari, 1945